Schwabing - Das Stadtteilbuch
Auszug aus Reinhard Bauer: Schwabing. Das Stadtteilbuch, München, 1997 (Bavarica-Verlag)
Aus Schwabings Geschichte
Schwabing war stets auch ein politisches Pflaster und ein Nährboden für Politiker.
Der Schwabinger Ludwig QuiddeW (1858–1941) war von 1907 bis 1918 Landtagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei und gehörte 1919 der Deutschen Nationalversammlung an. Er bekannte sich seit 1900 zum Pazifismus und war von 1914 bis 1929 Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft; 1927 erhielt er den Friedensnobelpreis.
Der Philosoph Georg von Hertling wurde 1912 Ministerpräsident von Bayern und 1917 Reichskanzler und Preußischer Ministerpräsident. Als Studenten erlebten spätere Politiker die Schwabinger Bohême Ernst ReuterW, der später Bürgermeister von Magdeburg und Berlin wurde, oder Theodor HeussW, der erste deutsche Bundespräsident.
Hier lebten die Väter der Russischen Revolution Leo TrotzkiW und Wladimir Iljitsch LeninW und seine Lebensgefährtin Nadeshda KrupskajaW, erste Kulturministerin der jungen UdSSR.
In der Zeit nach 1945, nach Hitlers Reich, wurde Schwabing wieder Schauplatz der kleineren Politik. In der Wohnung von Josef Müller, genannt Ochsenseppe wurde, 1946 die CSU gegründet.
In der Wilhelmstraße wohnt der Politiker und Publizist Professor Dr. Peter GlotzW. Der spätere Oberbürgermeister Christian Ude, die erste Bürgermeisterin Dr. Gertraud Burkert wurden hier geboren und die Stadtbaurätin Christiane Thalgott wohnt hier.
Sozis
Die Arbeiterbewegung blickt in Schwabing, dank der Maffeischen Fabrik, auf eine lange Tradition zurück. Mindestens seit 1873 gab es eine Sektion Schwabing der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Auf dem SPD-Gründungsparteitag 1869 in Eisenach war dieser Ort neben München als einziger aus Oberbayern vertreten. Bei der Mandatserklärung wurden dort 18 Mitglieder angegeben (zum Vergleich: München 150, Bayern 1121, Deutsches Reich 9273).
Bild:Doppelwohnhaus Gedonstraße 4 und 6 um 1900, Architekt: Martin Dülfer
Georg von Vollmar, der spätere Abgeordnete und langjährige Vorsitzende der bayerischen SPD, der ab 1891 einen gemäßigt reformerischen Kurs verfolgte („Königlich bayerischer Sozialdemokrat“), wurde 1887 von der Polizei als Schriftsteller in Schwabing geführt.
Die von 1878 bis 1890 durch das Sozialistengesetz verbotene Partei wuchs trotzdem und wurde am Ende des 19. Jahrhunderts bei den Kommunalwahlen in Schwabing stärkste Kraft.
- Parteilokale der SPD
In der Kaiserstraße war 1900 kein Mangel an Wirtshäusern: Neben “Zum (Goldenen) Onkel” gab es “Zur Goldtante“, ”Kaiserstüberl“, “Kaiserhof”, “Kaisergarten” und zwei kleine sozialdemokratische Nachbarschaftslokale, “Rote Fahne” und “Solidarität”. Georg Rittmayer, Wirt des “Onkels”, hatte das Lokal erst 1899 erworben. Bei diesem Genossen Rittmayer, der offenbar in höchsten Parteikreisen als zuverlässig und verschwiegen galt, wohnte Lenin.
Aus dem Arbeitermilieu ging auch der 1910 bezeugte “Volkschor Schwabing” hervor. Er zeichnete sich dadurch aus, dass er „gemischt“ war, d.h., dass auch Frauen mitsingen durften.
Ausführungen zum Alltagsleben von Lenin und Nadeschda Krupskaja.
Luftbild: Das südlicbe Schwabing von Westen um 1902. Im Vordergrund liegt das Kasernengelände zwischen Infanterie-, Kathi-Kobus- und Elisabethstraße. Dahinter sind die noch kaum bebauten Winzerer- und Schleißheimer Straße zu erkennen. Am rechten Bildrand liegen die Kirchen St. Joseph und St. Ludwig. Die Bebauung mit Mietshäusern beginnt erst an der Tengstraße.
Parteitag in der Schwabinger Brauerei
Bild: Schwabinger Brauerei (zwischenzeitlich Karstadt, Leopoldstraße) vor der Zerstörung 1942
1902 wurde vom 14. bis 20. September der »Reichsparteitag« der SPD in der Schwabinger Brauerei abgehalten. Im Protokoll über die »Vorversammlung« dieses SPD-Parteitages wird auch das Ambiente im größten Lokal Schwabings geschildert: …Der Garten der Brauerei, über deren Pforte ein rotes mit roten Fähnchen in den Landesfarben geschmücktes Schild den Delegierten: Willkommen, Vertreter der Arbeit! zuruft, ist ebenso wie die inneren Räumlichkeiten des großen Lokals überfüllt. Zu Tausenden sind die Münchener Arbeiter und Arbeiterinnen zusammengeströmt, um an der Eröffnung des Parteitages teilnehmen zu können.
Der große Nebensaal, der an den Kongresssaal stößt, bietet mit der tiefen Mittelgalerie zwischen den beiden Sälen nicht genügend Raum für die Kopf an Kopf gedrängt stehenden Massen. Übervoll ist auch der prächtige Kongresssaal, an dessen vier Längstafeln die Delegierten Platz genommen haben. Tannenreisig und Tannengirlanden schmücken die Säulen und Wände, Schilder erinnern an die früheren Parteitage der Gesamtpartei und der bayerischen Sozialdemokratie, herrliche Seidenfahnen hängen herab: die Banner aller pfälzischen Arbeitervereine.
Eine Kolossalbüste der Freiheit, wie sie zuerst im Kongresssaal zu Hannover die Vertreter der Partei begrüßte, sieht aus einem Hain immergrüner Pflanzen neben der breiten Tribüne, auf der das Präsidium sitzen wird, auf die Delegierten herab. )