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Der Staatsanwalt nahm daraufhin mit einem der Unterzeichner des Flugblattes, dem Oberlandesgerichtsrat Rohrer, Rücksprache und versuchte, ohne richterliche Vernehmung den Namen des Druckers in Erfahrung zu bringen. In der Aussprache gewann nun der Staatsanwalt die Überzeugung, dass die Unterzeichner ohne gerichtliche Vernehmung den Namen des Druckers keinesfalls nennen würden und dass die beteiligten Persönlichkeiten sogar entschlossen waren, gegebenfalls ein Zeugnisszwangsverfahren über sich ergehen zu lassen. Angesichts dieser Situation regte nun der Staatsanwalt an, das Verfahren einzustellen. Bei seinem Antrag leitete vor allem auch die Erwägung, dass die zeugenschaftliche Vernehmung der Unterzeichner nur ein negatives Ergebnis zeitigen würde und dass die durch ein derartiges gerichtliches Verfahren hervorgerufene Erregung in den beteiligten Kreisen „mit der Folge politischer Erörterungen“ in den Parlamenten in keinem Verhältnis zu der begangenen Straftat und der zu erwartenden Straf stehen werde. Dem fügte der Staatsanwalt noch hinzu, dass der Inhalt des Flugblattes durch die Erörterung der Kriegsziele im Reichstag wie auch im Landtag, überholt sei.<ref>Rede Bethmann Hollwegs vor dem Reichstag am 5. April 1916</ref> | Der Staatsanwalt nahm daraufhin mit einem der Unterzeichner des Flugblattes, dem Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer, Rücksprache und versuchte, ohne richterliche Vernehmung den Namen des Druckers in Erfahrung zu bringen. In der Aussprache gewann nun der Staatsanwalt die Überzeugung, dass die Unterzeichner ohne gerichtliche Vernehmung den Namen des Druckers keinesfalls nennen würden und dass die beteiligten Persönlichkeiten sogar entschlossen waren, gegebenfalls ein Zeugnisszwangsverfahren über sich ergehen zu lassen. Angesichts dieser Situation regte nun der Staatsanwalt an, das Verfahren einzustellen. Bei seinem Antrag leitete vor allem auch die Erwägung, dass die zeugenschaftliche Vernehmung der Unterzeichner nur ein negatives Ergebnis zeitigen würde und dass die durch ein derartiges gerichtliches Verfahren hervorgerufene Erregung in den beteiligten Kreisen „mit der Folge politischer Erörterungen“ in den Parlamenten in keinem Verhältnis zu der begangenen Straftat und der zu erwartenden Straf stehen werde. Dem fügte der Staatsanwalt noch hinzu, dass der Inhalt des Flugblattes durch die Erörterung der Kriegsziele im Reichstag wie auch im Landtag, überholt sei.<ref>Rede Bethmann Hollwegs vor dem Reichstag am 5. April 1916</ref> | ||
In den Ministerialakten betonte der zuständige Sachbearbeiter, dass die Argumente des Staatsanwaltes fast ausschließlich politischer Natur seien. Nicht ohne den Ton der Erbitterung vermerkte Sonnenburg in einem Geheimvermerk zu der weiteren Behandlung <ref>KA. Mkr. 13879, Bl. 91 und 92 auch zum folgenden.</ref> | In den Ministerialakten betonte der zuständige Sachbearbeiter, dass die Argumente des Staatsanwaltes fast ausschließlich politischer Natur seien. Nicht ohne den Ton der Erbitterung vermerkte Sonnenburg in einem Geheimvermerk zu der weiteren Behandlung <ref>KA. Mkr. 13879, Bl. 91 und 92 auch zum folgenden.</ref> | ||
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Die Zweideutigkeit und unleugbare Verschleierung, die in den Aussagenlag, mußten den Zensoren wie Hohn vorkommen. So vermißte der Pressereferent auch jegliche Bemühung des Ermittlungsrichters, die Vorgänge um die Entstehung der Denkschrift zu klären. Weiter fehlte jede Antwort auf die naheliegenden Fragen, wer die Versammlung, die mit der Denkschrift beschäftigt war, leitete, ob man einen Redaktionsausschuß eingesetzt hatte, wer verantwortlich die Verhandlungen mit dem Drucker geführt hatte und schließlich, ob über die Zensur geredet worden war. Das Protokoll des Ermittlungsrichters enthielt stattdessen nur zusammenhanglose Sätze, die für die Sache unerheblich, teilweise zweideutig und irreführend waren. So hatte Kommerzienrat Stöhr untere Eid erklärt: „Ich erhielt lediglich das Druckerzeugnis zugestellt!“ Tatsächlich wurde Stöhr aber auf dem Zustimmungsformular als diejenige Peson angegeben, an die die Zustimmungserklärungen eingesandt werden sollten. Daraus war nun logischerweise zu schließen, dass Stöhr sich hierzu bereit erklärt hatte und folglich auch einen Mitverfassers des Aufrufs gekannt und zu den Eingeweihten gehört haben mußte. Erst bei einer zweiten, nicht eidlichen Vernehmung durch den ersten Staatsanwalt gab Stöhr an:“Wer die Drucklegung zu besorgen übernahm und den Antrag hiezu erteilte, sowie bei wem der Aufruf gedruckt wurde, weiß ich nicht“. In dieser Form stellte die Bemerkung Stöhrs nichts anderes als eine Vormerkung des Staatsanwalts dar – sie war ohne jeden Beweiswert und auch von Stöhr nicht unterschrieben. | Die Zweideutigkeit und unleugbare Verschleierung, die in den Aussagenlag, mußten den Zensoren wie Hohn vorkommen. So vermißte der Pressereferent auch jegliche Bemühung des Ermittlungsrichters, die Vorgänge um die Entstehung der Denkschrift zu klären. Weiter fehlte jede Antwort auf die naheliegenden Fragen, wer die Versammlung, die mit der Denkschrift beschäftigt war, leitete, ob man einen Redaktionsausschuß eingesetzt hatte, wer verantwortlich die Verhandlungen mit dem Drucker geführt hatte und schließlich, ob über die Zensur geredet worden war. Das Protokoll des Ermittlungsrichters enthielt stattdessen nur zusammenhanglose Sätze, die für die Sache unerheblich, teilweise zweideutig und irreführend waren. So hatte Kommerzienrat Stöhr untere Eid erklärt: „Ich erhielt lediglich das Druckerzeugnis zugestellt!“ Tatsächlich wurde Stöhr aber auf dem Zustimmungsformular als diejenige Peson angegeben, an die die Zustimmungserklärungen eingesandt werden sollten. Daraus war nun logischerweise zu schließen, dass Stöhr sich hierzu bereit erklärt hatte und folglich auch einen Mitverfassers des Aufrufs gekannt und zu den Eingeweihten gehört haben mußte. Erst bei einer zweiten, nicht eidlichen Vernehmung durch den ersten Staatsanwalt gab Stöhr an:“Wer die Drucklegung zu besorgen übernahm und den Antrag hiezu erteilte, sowie bei wem der Aufruf gedruckt wurde, weiß ich nicht“. In dieser Form stellte die Bemerkung Stöhrs nichts anderes als eine Vormerkung des Staatsanwalts dar – sie war ohne jeden Beweiswert und auch von Stöhr nicht unterschrieben. | ||
Der bereits genannte Professor Kraepelin, der als Versammlungsleiter zweifellos über die Vorgänge Bescheid wußte, wurde weder richterlich noch staatsanwaltschaftlich vernommen. Stattdessen wählte der Staatsanwalt den nicht ganz üblichen Weg eines persönlichen, außerdienstlichen Gesprächs mit einem der Unterzeichner, | Der bereits genannte Professor Kraepelin, der als Versammlungsleiter zweifellos über die Vorgänge Bescheid wußte, wurde weder richterlich noch staatsanwaltschaftlich vernommen. Stattdessen wählte der Staatsanwalt den nicht ganz üblichen Weg eines persönlichen, außerdienstlichen Gesprächs mit einem der Unterzeichner, Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer. Seinen Bericht baute der Staatsanwalt auf der persönlichen Ansicht Wilhelm Rohrers, dass alle Beteiligten des Flugblattes gegebenfalls das Zeugnisszwangsverfahren über sich ergehen lassen würden, auf und beantragte die Einstellung des Verfahrens. Der Oberstaatsanwalt trat den Ausführungen des Staatsanwaltes vollinhaltlich bei. | ||
Die Fragwürdigkeit des staatsanwaltschaftlichen Berichts begann bereits damit, dass zu Beginn seiner Ausführungen die Behauptung stand, die Zeugen hätten bei ihrer eidlichen Vernehmung erklärt, den Namen des Druckers nicht zu kennen. Aus den Protokollen ging jedoch hervor, dass sie lediglich erklärten, den Namen nicht angeben zu können. | Die Fragwürdigkeit des staatsanwaltschaftlichen Berichts begann bereits damit, dass zu Beginn seiner Ausführungen die Behauptung stand, die Zeugen hätten bei ihrer eidlichen Vernehmung erklärt, den Namen des Druckers nicht zu kennen. Aus den Protokollen ging jedoch hervor, dass sie lediglich erklärten, den Namen nicht angeben zu können. | ||
Mit seiner ausführlichen Darlegung der politischen Bedenken versuchte der Staatsanwalt offensichtlich zu begründen, dass die Schwere des Mittels des Zeugniszwangsverfahrens in keinem Verhältnis stehe zu der Wichtigkeit des auf diesem Wege erstrebten Zweckes. Da außerdem die politischen Erörterungen des Staatsanwalts nur im Hinblick auf die Durchführung eines Zeugniszwangsverfahrens relevant waren, hätte man erwarten können, dass der Staatsanwalt diese Möglichkeit erst einmal akut werden ließ, also abwarten würde, ob einer der Zeugen bei einer richterlichen Vernehmung tatsächlich die Aussage verweigert hätte. Die abgegebenen Äußerungen von Stöhr und Lehmann stellten ja keine Aussageverweigerug das, sondern nur den geglückten Versuch einer Aussageverschleierung. Durch die Art dieses Vorgehens hatte der Staatsanwalt sämtlichen in Betracht kommenden Zeugen die Wahl zwischen Aussage und Zeugnisverweigerung erspart. Zudem basierte die staatsanwaltschaftliche Entscheidung primär auf der höchst subjektiven und von persönlichen und politischen Interessen beeinflußten Meinungsäußerungen des eventuellen Zeugen Rohrer und auf der „in den beteiligten Kreisen herrschenden herrschenden Erregung“. Im Normalfall wurde vor Gericht wohl kaum von der Ladung eines Zeugen abgesehen, nur weil Möglichkeit bestand, dass der Zeuge seine Aussage verweigern würde. Nicht zu unrecht bemerkte auch der Pressereferent, dass für den Einstellungs-Antrag des Staatsanwalts noch Zeit gewesen wäre, wenn Professor Kraepelin oder der Oberlandesgerichtsrat Rohrer bei einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter tatsächlich ihre Aussage verweigert hätten. Erstaunlich blieb die Tatsache, dass diese beiden Zeugen vom Staatsanwalt nicht dienstlich vernommen worden wurden. Auch die politischen Bedenken des Staatsanwaltes entbehren nicht einer gewissen Fragwürdigkeit. Die durch die Anzeige des Kriegsministers in Gang gesetzte Strafverfolgung hatte vordergründig zumindest für die mit der Verfolgung beauftragten Justizbehörde, weder mit de Zensur noch mit der „angesprochenen politischen Komponente etwas zu tun“. Die Anzeige des Kriegsministeriums gründete auf der Verletzung des §6 des Reichspreßgesetz. <ref>Abgedruckt be E.R. Huber; Dokumente B., , a,a, Ort., S.369</ref> einer auch im Frieden allgemein gültigen presspolizeilichen Bestimmung. Auch der Hinweis auf die „in den beteiligten Kreisen herrschende Erregung“ erkannte die Zensurstelle“ nicht als Argument an. Der zuständige Sachbearbeitermeister konstatierte: | Mit seiner ausführlichen Darlegung der politischen Bedenken versuchte der Staatsanwalt offensichtlich zu begründen, dass die Schwere des Mittels des Zeugniszwangsverfahrens in keinem Verhältnis stehe zu der Wichtigkeit des auf diesem Wege erstrebten Zweckes. Da außerdem die politischen Erörterungen des Staatsanwalts nur im Hinblick auf die Durchführung eines Zeugniszwangsverfahrens relevant waren, hätte man erwarten können, dass der Staatsanwalt diese Möglichkeit erst einmal akut werden ließ, also abwarten würde, ob einer der Zeugen bei einer richterlichen Vernehmung tatsächlich die Aussage verweigert hätte. Die abgegebenen Äußerungen von Stöhr und Lehmann stellten ja keine Aussageverweigerug das, sondern nur den geglückten Versuch einer Aussageverschleierung. Durch die Art dieses Vorgehens hatte der Staatsanwalt sämtlichen in Betracht kommenden Zeugen die Wahl zwischen Aussage und Zeugnisverweigerung erspart. Zudem basierte die staatsanwaltschaftliche Entscheidung primär auf der höchst subjektiven und von persönlichen und politischen Interessen beeinflußten Meinungsäußerungen des eventuellen Zeugen Wilhelm Rohrer und auf der „in den beteiligten Kreisen herrschenden herrschenden Erregung“. Im Normalfall wurde vor Gericht wohl kaum von der Ladung eines Zeugen abgesehen, nur weil Möglichkeit bestand, dass der Zeuge seine Aussage verweigern würde. Nicht zu unrecht bemerkte auch der Pressereferent, dass für den Einstellungs-Antrag des Staatsanwalts noch Zeit gewesen wäre, wenn Professor Kraepelin oder der Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer bei einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter tatsächlich ihre Aussage verweigert hätten. Erstaunlich blieb die Tatsache, dass diese beiden Zeugen vom Staatsanwalt nicht dienstlich vernommen worden wurden. Auch die politischen Bedenken des Staatsanwaltes entbehren nicht einer gewissen Fragwürdigkeit. Die durch die Anzeige des Kriegsministers in Gang gesetzte Strafverfolgung hatte vordergründig zumindest für die mit der Verfolgung beauftragten Justizbehörde, weder mit de Zensur noch mit der „angesprochenen politischen Komponente etwas zu tun“. Die Anzeige des Kriegsministeriums gründete auf der Verletzung des §6 des Reichspreßgesetz. <ref>Abgedruckt be E.R. Huber; Dokumente B., , a,a, Ort., S.369</ref> einer auch im Frieden allgemein gültigen presspolizeilichen Bestimmung. Auch der Hinweis auf die „in den beteiligten Kreisen herrschende Erregung“ erkannte die Zensurstelle“ nicht als Argument an. Der zuständige Sachbearbeitermeister konstatierte: | ||
Wer Offizialdelikte begehrt, hat auch stets Strafverfolgung zu gewärtigen und könne etwa vom Zaun gebrochenen „Zensurdebatten“ und aus patriotischen Motiven“ und zu Gunsten bestimmter Programme reichsgesetzliche Bestimmungen straflos solle verletzend dürfen, ist zwar die Ansicht einiger Fanatiker vom Schlage des Verlegers Lehmann, wird aber kaum die Billigung der Parlamente finden, die immer noch auf dem Standpunkt stehen, dass die Gesetze für alle gelten, und jede Partei – und Klassenjustiz verwerfen. | Wer Offizialdelikte begehrt, hat auch stets Strafverfolgung zu gewärtigen und könne etwa vom Zaun gebrochenen „Zensurdebatten“ und aus patriotischen Motiven“ und zu Gunsten bestimmter Programme reichsgesetzliche Bestimmungen straflos solle verletzend dürfen, ist zwar die Ansicht einiger Fanatiker vom Schlage des Verlegers Lehmann, wird aber kaum die Billigung der Parlamente finden, die immer noch auf dem Standpunkt stehen, dass die Gesetze für alle gelten, und jede Partei – und Klassenjustiz verwerfen. | ||
=== Rede Theobald von Bethmann Hollweg 5. April 1916=== | |||
Der Hinweis des Staatsanwaltes auf die Rede des Reichskanzlers vom 5. April 1916 und auf seine Unterredung mit einem Journalisten sollte | Der Hinweis des Staatsanwaltes auf die '''Rede des Reichskanzlers vom 5. April 1916''' und auf seine Unterredung mit einem Journalisten sollte besagen, die Reichsleitung habe den Inhalt des Flugblattes im wesentlichen gebilligt. Das Pressereferat stellte dazu fest: “Eine solche Übereinstimmung kann nicht anerkannt werden“.<ref>Vgl. Dazu Ernst Heinen, Zentrumspresse und Kriegszieldiskussion unter besonderer Berücksichtigung der Kölnischen Volkszeitung und der Germania, Druck: Photostelle der Universität, 1962 - 266 S. , S. 23-28</ref>In der Rede des Reichskanzlers {{WL2|Theobald von Bethmann Hollweg}} vor dem Reichstag am 5. April nahm die deutsche Ostpolitik einen breiten Raum ein.<ref>Der Kanzler sprach am 5. April 1916 zu den Kriegszielen und der Neugestaltung Europas im Westen, vor allem aber im Osten: Sinn und Ziel dieses Krieges ist uns ein Deutschland, so fest gefügt, so stark beschirmt, dass niemand wieder in die Versuchung gerät, uns vernichten zu wollen, dass jedermann in der weiten Welt unser Recht auf Betätigung unserer friedlichen Kräfte anerkennen muss ... Stefan Bollinger, Weltbrand, "Urkatastrophe" und linke Scheidewege: Fragen an den "Großen Krieg", [https://books.google.de/books?id=hmh4DwAAQBAJ&pg=PT73&dq=%22Den+status+quo+ante+(d.+h.+den+Zustand,+in+dem+es+vorher+war+%E2%80%93+St.+B.)+kennt+nach+so+ungeheuren+Geschehnissen+die+Geschichte+nicht.%22&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwi_tMypkObjAhXC5KYKHenWBAEQ6AEIKDAA#v=onepage&q=%22Den%20status%20quo%20ante%20(d.%20h.%20den%20Zustand%2C%20in%20dem%20es%20vorher%20war%20%E2%80%93%20St.%20B.)%20kennt%20nach%20so%20ungeheuren%20Geschehnissen%20die%20Geschichte%20nicht.%22&f=false] auch Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht: die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland, 1914/18, Droste, 1971 - 902 S., S. 297; Bethmann Hollweg am 5. April 1916 Forderungen aufgestellt: "Den status quo ante kennt nach so ungeheuren Geschehnissen die Geschichte nicht." Es dürfe, wenn Nachbarstaaten sich zusammenschließen und Deutschland "erdrosseln" wollten, künftig für sie "keine Einfallstore" geben. Unter dieser Devise hatte er angedeutet, Deutschland werde Gebiete Polens, Litauens und der baltischen Staaten unter seine Herrschaft bringen. Auch eine Verschiebung der Westgrenze, die dauerhafte Beherrschung Belgiens nach der Abtrennung Flanderns, wurde als Kriegsziel genannt. [https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0202_bet&object=context&l=de]</ref> In der gesamten Presse im Reich von der „Kreuzzeitung“ bis zum „Vorwärts“, wurde diese Kanzlerrede als Bekenntnis zu einem entschiedenen Anexionismus im Sinne der Eingabe der sechs Wirtschaftsverbände vom März 1915 verstanden Auch die Sprecher der Parteien in der Reichstagsdebate unterstrichen, mit Ausnahme des Abgeordneten {{WL2|Hugo Haase}}<ref>{{WL2|Hugo Haase}} war Sprecher der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, einer Vorläuferin der USPD</ref> die Forderungen des Reichskanzlers, besonders im Hinblick auf Belgien. Sogar der Hauptsprecher der Sozialdemokraten, {{WL2|Phillip Scheidemann}}, begrüßte die Befreiung Rußlands vom zaristischen Joch wie auch die Förderung des flämischen Bevölkerungsteils in Belgien. Auch er hielt eine Rückkehr zum status quo ante nicht mehr für möglich.<ref>Vgl. F. Fischer: Griff nach der Weltmacht, a.a.O. S. 297</ref> | ||
Bedenkt man den politischen Standort des Pressereferenten nach dem Krieg, so verwundert dessen eigenwillige Interpretation der Behtmann'schen Rede, wonach sich der Kanzler gegen Annexionen ausgesprochen hatte. | |||
Bedenkt man den politischen Standort des Pressereferenten nach dem | Entscheidend für die Einstellung der Zensurbehörde waren weniger diese politischen Überlegungen zur Bethmann Hollweg'schen Rede vom 5. April 1916 als vielmehr die praktischen Auswirkungen des Vorgehens der Justizbehörden im Zusammenhang der Denkschrift ''Richtlinien für Wege zu einem dauerhaften Frieden''. Selbst für den Fall, dass die Entscheidung des Staatsanwaltes, das Verfahren einzustellen, als richtig anzuerkennen war, so befürchtete das Kriegsministerium, bei einer Einstellung des Verfahrens möchten die Pazifisten, dazu zählte er auch in diesem Zusammenhang die Sozialdemokratie, nun den Vorwurf erheben, es werde nicht mit gleichem Maß gemessen. Der zuständige Zensor bemerkte, dieser Vorwurf werde in der Öffentlichkeit wie auch in den Parlamenten an die Adresse der obersten bayerischen Militärbehörde gerichtet werden. Die Allgemeinheit erfahre nicht, in welchem Stadium und durch wessen Schuld das Verfahren worden sei. Für das Kriegsministerium ergebe sich die unangenehme Lage, entweder den unausbleiblichen Vorwurf der Pazifisten auf sich sitzen zu lassen, oder durch ihre Rechtfertigung im Landtag die Justizbehörde zu kompromitieren. | ||
Entscheidend für die Einstellung der Zensurbehörde waren | |||
Wenngleich der Pressereferent an seinen Einwänden gegen das Verfahren der Justizbehörde festhielt, so beantragte er doch die Einstellung des Verfahrens. Er stellte fest.<ref>KA. Mkr. 13879, B. 91. - 92</ref> | Wenngleich der Pressereferent an seinen Einwänden gegen das Verfahren der Justizbehörde festhielt, so beantragte er doch die Einstellung des Verfahrens. Er stellte fest.<ref>KA. Mkr. 13879, B. 91. - 92</ref> | ||
… dass bei der Stärke der Widerstands auf Seiten der Justizbehörden (parteipolitiche Sympahtine für die Unterzeichner des Aufrufs, persönliche Rücksichtnahme auf Oberlandesgerichtsrat Rohrer und auf andere einflussreiche, dem Aufruf nahestehenden Justizbeamte) etwaige Gegenvorstellungen doch nutzlos wären, gegen passive Resistenz ist nicht anzukämpfen. | … dass bei der Stärke der Widerstands auf Seiten der Justizbehörden (parteipolitiche Sympahtine für die Unterzeichner des Aufrufs, persönliche Rücksichtnahme auf Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer und auf andere einflussreiche, dem Aufruf nahestehenden Justizbeamte) etwaige Gegenvorstellungen doch nutzlos wären, gegen passive Resistenz ist nicht anzukämpfen. | ||
Das Verhalten der Justizbehörde im Fall des Flugblattes „Richtlinien für Wege zu einem dauernden Frieden“ sollte auf die Einstellung der militärischen Zensurbehörde in der Justiz eher eien Hemmschuh für ihr Wirken als eine Unterstützung.Zumindest in den Ministerialakten erhob der Referent gegenüber den Justizbehörden offen den Vorwurf der Parteilichkeit. Sonnenburgs personelle, politische Linie, die indem loyalen Verhalten der Zensur gegenüber dem Reichskanzler Bethmann hollweg ihren Ausdruck fand stieß offenbar bei einigen höheren Justizbeamten auf ein ernstes Hindernis, dessen sich der Pressereferent auch bei späteren Maßnahmen immer wieder bewußt war. Als überzeugten Föderalist suchte er mit allen ihm Gebote stehenden jenen Reichskanzler zu stützen, der die föderale Struktur des Reiches garantierte. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass die nämliche Zensurbehörde sich auch für einen weniger föderalistisch eingestellten Kanzler mit der gleichen Intensität eingesetzt hätte. Hier spielte in Bayern das politische Eigeninteresse einen nicht zu unterschätzende Rolle. | Das Verhalten der Justizbehörde im Fall des Flugblattes „Richtlinien für Wege zu einem dauernden Frieden“ sollte auf die Einstellung der militärischen Zensurbehörde in der Justiz eher eien Hemmschuh für ihr Wirken als eine Unterstützung.Zumindest in den Ministerialakten erhob der Referent gegenüber den Justizbehörden offen den Vorwurf der Parteilichkeit. Sonnenburgs personelle, politische Linie, die indem loyalen Verhalten der Zensur gegenüber dem Reichskanzler Bethmann hollweg ihren Ausdruck fand stieß offenbar bei einigen höheren Justizbeamten auf ein ernstes Hindernis, dessen sich der Pressereferent auch bei späteren Maßnahmen immer wieder bewußt war. Als überzeugten Föderalist suchte er mit allen ihm Gebote stehenden jenen Reichskanzler zu stützen, der die föderale Struktur des Reiches garantierte. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass die nämliche Zensurbehörde sich auch für einen weniger föderalistisch eingestellten Kanzler mit der gleichen Intensität eingesetzt hätte. Hier spielte in Bayern das politische Eigeninteresse einen nicht zu unterschätzende Rolle. |
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