Papiertheater

Aus München Wiki
Version vom 6. März 2014, 07:22 Uhr von Girus (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Papiertheater sind, von ihrer Funktion her, kleine Guckkastentheater, deren Einzelteile in Form von „Ausschneidebögen“ in Deutschland und England ungefähr ab 1810, später auch in anderen europäischen Ländern, zunächst schwarzweiß dann koloriert von Druckereien oder Verlagen geliefert wurden. Aus diesen Bögen wurden die Einzelteile herausgeschnitten und auf Karton oder Holzbrettchen aufgeklebt. So entstand allmählich ein funktionsfähiger Bühnennachbau, der im familiären Rahmen „bespielt“ werden konnte. Das "Theater" hatte dann z.B. Maße von ca. 60x60x30 cm. Schauspielerfiguren wurden einzeln auf Leisten befestigt, um sie von der Seite in die Bühne zu ihrem Auftritt hineinzuschieben. Die restliche Familie saß als Zuschauer vor dem Bühnenportal. Gar nicht so unähnlich der heutigen Situation vor einem Fernsehgerät, nur dass die Familien damals deutlich mehr Personen umfassten.

Es gab extra Kurzfassungen bekannter Theaterstücke und Musikfassungen für hausmusikalische Besetzungen dazu. Darstellerzahl und Texte mussten für diesen Rahmen stark reduziert werden. Die Hauptfiguren wurden zu ihrem "Auftritt" von der Seite in das Theater auf den Stäben, Drähten o.ä. hineingeschoben und die Texte aus dem Off mit wechselnden Stimmen verteilt gesprochen.

Man darf nicht vergessen, dass es in dieser Zeit medial in den Wohnungen kaum eine Konkurrenz gab, weder Radio noch Plattenspieler waren vertreten. Diese Ausschneidebogen waren im Biedermeier Bestandteil der so genannten „Bilderbogenkultur“. In Deutschland war u.a. der Schreiber-Verlag, Esslingen, ein bekannter Lieferant der Ausschneidebögen für die Papiertheater, die auswechelbaren Hintergründe und ganze Figurensets für diese Form des Nachspiels von Theater.

Die Modell-Portale bildeten z.T. die Architektur von international bekannten Bühnen nach.

Ausstellung

In der Abteilung Puppentheater und Schaustellerei des Stadtmuseums sind u.a. sechs aufgebaute Papiertheater zu betrachten:

  1. Opera, auf einem industriell in großer Zahl gefertigten Holzkasten steht ein Theater mit einem Holzportal, Frankreich 19. Jhdt. (ca. 60x50x70 cm), mit der passenden Dekoration "Schlossgarten" (Tiefe: Wald, kaschiert auf Sperrholzrahmen). Hersteller Fa. Scholz, Mainz, nach 1888.
  2. Trentsensky 19. Jhdt. (ca. 90x100 cm), Dekoration “Chinesischer Garten“, Hersteller Fa. Scholz, Mainz, um 1870. Mit 11 Figuren der Fa. Engel aus Barbier von Sevillia, Berlin, um 1860.
  3. Portal Téatre Francais, Frankreich. (ca. 60x50x30 cm), Dekoration “Stadtplatz“, Hersteller Fa. Pellegrin, Epinal, um 1890.
  4. Großes Portal, industriell gefertigter Holzkasten. (ca. 60x50x70 cm), Dekoration “Burgzimmer“ (1 kaschierter Bogen, 4 Seitenelemente und 1 Hintergrund. Die Seitenelemente werden auf senkrecht zum Portal stehenden Drähten aufgehängt). Hersteller Fa. Schreiber, Esslingen 1890. Mit 12 Figuren der gleichen Fa. zu Schneewittchen, um 1880.
  5. Kasperltheater, industriell gefertigter Holzkasten der Fa. Chroust, Prag. (ca. 50x90x50 cm), Dekoration “Faustzimmer“ (Studierstube) um 1930. (Dekoriert mit 4 Marionetten von der Fa. Münzberg, ebenfalls in Prag, um 1925)
  6. Portal Quadriga, industriell und individuell gefertigter aufwändiger Holzkasten aus Privatbesitz um 1850 (ca. 40x50x60 cm; Holzkasten Höhe ca. 25 cm), als zugehörige Dekoration ist der "Garten" der Fa. Stange, Berlin, um 1860 (ein Schlossgarten mit Springbrunnen, Tiefe: Felsen auf 6 Seitenelemente kaschiert auf Karton). 4 Spielfiguren kaschiert auf ausgesägtem Sperrholz und Sperrholzschlitten, zu "Kaspers Reise nach China", der Fa. Engel, Berlin, um 1880. Der Bühnenboden hat mittig sogar ein Falltürelement) zu sehen.

Auch ein steinerner Druckstock der Fa. Schreiber für einen Ausschneidebogen ist ausgestellt.

Literatur

  • Günter Böhmer: Ausstellungskatalog der Puppentheatersammlung, Münchner Stadtmuseum; München, 1977
  • Georg Garde: Theatergeschichte im Spiegel der Kindertheater. Eine Studie in populärer Graphik. Kopenhagen, Borgens, 1971. 355 S.
  • Theodor Kohlmann: Das Papiertheater, Führungsblätter des Museums für Deutsche Volkskunde, Berlin, 1976.
  • Pflüger, Kurt; Helmut Herbst: Schreibers Kindertheater, Pinneberg, Renate Raecke, 1986. 212 S. ISBN 3-923909-13-6
  • Reitzle, Annegret: Die Texthefte des Papiertheaters, Ein Beitrag zur Rezeption von populären Theaterstoffen und Kinder- und Jugendliteratur. Dissertation. Stuttgart, Betr. Reinhard Döhl, 1990.
  • Wild, Adolf (Red.): Papiertheater aus dem Verlag Josef Scholz-Mainz. Mainz, 1997 (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek und der Öffentlichen Bücherei Mainz - Anna Seghers; Nr. 51; Begleitheft zu einer Ausstellung im Staatstheater Mainz)

Weblinks

Siehe auch

  • Alois Senefelders (* 6. November 1771 in Prag; † 26. Februar 1834 in München) Erfindung der LithographieW (d.h. Druckabzüge von Steinplatten) am Ende des 18. Jahrhunderts wird zur technischen Voraussetzung des großen Erfolgs dieser "Bühnen", denn nun sind große Auflagen zu günstigen Preisen von relativ großflächigen Bildern möglich.