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* Hermann Glaser (1928-2018): ''Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“. Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus.'' Allitera, München, 2014. ISBN 978-3-86906-622-6 | * Hermann Glaser (1928-2018): ''Adolf Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“. Ein Beitrag zur Mentalitätsgeschichte des Nationalsozialismus.'' Allitera, München, 2014. ISBN 978-3-86906-622-6 | ||
* Wolfgang Niess: ''Der Hitlerputsch 1923 - Geschichte eines Hochverrats.'' C.H. Beck, 2023. | * Wolfgang Niess: ''Der Hitlerputsch 1923 - Geschichte eines Hochverrats.'' C.H. Beck, 2023.<!-- | ||
Fr. Knobloch zur Situation heute: | |||
Der Judenhass ist ja nicht in den letzten zwölf Monaten aufgekommen, er ist ein jahrhundertealtes Problem. Ich selbst habe keine Angst mehr, das kommt vielleicht mit dem Alter. Aber die jungen Menschen haben natürlich Angst, auch in unserer Gemeinde. Zu der Sorge um Freunde und Verwandte in Israel kommt in so einer Lage die Sorge um die eigene Zukunft hier. Das belastet viele. | |||
Niess in der [[Süddeutsche Zeitung]] am 7. November 2023 | |||
Es wäre falsch, aufflammenden Antisemitismus allein mit Migranten aus muslimischen Ländern in Verbindung zu bringen. Er ist keineswegs nur importiert. Was wir nun erleben, zeigt auch, wie dünn der Firnis der Kultur über dem angestammten Antisemitismus im Land ist. Es war eine Illusion anzunehmen, dass mit dem Ende des Nationalsozialismus auch der Hass und die Vorbehalte gegen Juden nach und nach verschwinden würden. Sie waren keine Erfindung Hitlers. | |||
Von Interesse kann da der Blick auf die Geschichte sein, die vor 100 Jahren München, Bayern und ganz Deutschland in Atem hielt. Am Abend des 8. November stürmte Adolf Hitler mit einem Trupp Bewaffneter eine Versammlung bayerischer Würdenträger aus Politik und Wirtschaft im Münchner Bürgerbräukeller und rief die "nationale Revolution" aus. Hitler bat drei der Männer in einen Nebenraum und drängte sie, mit ihm die Republik der "Novemberverbrecher" in Berlin zu beseitigen und eine "nationale Diktatur" zu errichten. Nach viel Hin und Her willigten Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, der Kommandeur der in Bayern stationierten Reichswehrdivision, General Otto von Lossow, und Landespolizeichef Hans von Seißer ein. Beim "Rütli-Schwur" auf der Bühne wurden sie gefeiert. | |||
Hitler war im großen Getriebe des Umsturzes ein kleines Rädchen | |||
Im Verlauf der Nacht distanzierten sich die drei dann vom Putsch. Hitler und seine Kumpane marschierten um die Mittagszeit des 9. November mit etwa 2000 Männern zum Marienplatz und wurden von jubelnden Anhängern begrüßt. Von dort zog man Richtung Odeonsplatz, an der Feldherrnhalle kam es zum Schusswechsel mit der Landespolizei. 14 Putschisten und vier Polizisten wurden tödlich getroffen. | |||
100 Jahre Hitlerputsch: Freikorpseinheit vor dem bayerischen Kriegsministerium in der Schönfeldstraße. In der Mitte des Bildes mit Fahne der spätere Reichsführer SS Heinrich Himmler.Detailansicht öffnen | |||
Freikorpseinheit vor dem bayerischen Kriegsministerium in der Schönfeldstraße. In der Mitte des Bildes mit Fahne der spätere Reichsführer SS Heinrich Himmler. (Foto: Scherl/SZ Photo) | |||
So weit die Geschichte des "Hitlerputsches", wie sie erzählt wird. Vergessen wird, dass die Beseitigung der angeblich "jüdisch und marxistisch verseuchten" Republik keineswegs nur das Projekt Hitlers war. Er war im Getriebe des geplanten Umsturzes nur ein relativ kleines Rädchen. Der entscheidende Kopf war Gustav von Kahr, der schon 1920/21 als Ministerpräsident die Vorstellung hatte, Bayern müsse zur "Ordnungszelle" Deutschlands werden. Kahr war Monarchist, glühender Antisemit und entschiedener Gegner der Demokratie. Unter ihm entwickelte sich Bayern zum Eldorado des Rechtsextremismus. Hier wurden die Attentate auf Erzberger und Rathenau geplant, hier schützte die Polizei deren Mörder, hier konnte Hitler zu dem Nationalsozialisten werden, als den wir ihn kennen. | |||
Debatte Fünf bittere Erkenntnisse nach dem 7. Oktober | |||
Terror in Israel | |||
Fünf bittere Erkenntnisse nach dem 7. Oktober | |||
Wohin sollen wir gehen? Juden haben schon immer auf gepackten Koffern gelebt, inzwischen brennen weltweit die Israelflaggen. Eine Betrachtung aus jüdischer Perspektive. | |||
Von Nele Pollatschek | |||
Kahr musste im September 1921 als Ministerpräsident gehen, weil er sich zu stur Anordnungen der Alliierten widersetzt hatte. Ausgerechnet ihn stattete man im September 1923 wieder als "Generalstaatskommissar" mit diktatorischen Vollmachten aus. Das Jahr der großen Krisen trieb auf seinen Höhepunkt zu, und die politische Elite Bayerns war offenbar entschlossen, dies zum großen Aufräumen in der Reichspolitik zu nutzen. | |||
Kaum im Amt, versammelte Kahr die paramilitärischen "vaterländischen Verbände" hinter sich und eskalierte die Konflikte zwischen Bayern und dem Reich. Nicht nur Landespolizeichef von Seißer, auch der Kommandeur der Reichswehrdivision, Lossow, stellte sich auf Kahrs Seite und nahm eine Entlassung durch den Chef der Reichswehr billigend in Kauf. Der Freistaat reagierte, indem er Lossow zum "Landeskommandanten" machte und die Reichswehrdivision auf Bayern "als Treuhänderin des deutschen Volkes" verpflichtete. Ein offener Verfassungsbruch. | |||
100 Jahre Hitlerputsch: Bayerns Ministerpräsident Gustav von Kahr: paramilitärische Verbände für die Konfrontation mit Berlin.Detailansicht öffnen | |||
Bayerns Ministerpräsident Gustav von Kahr: paramilitärische Verbände für die Konfrontation mit Berlin. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo) | |||
Kahrs Ziel war es, mit Hilfe der bewaffneten Macht eine nationale Diktatur zu errichten. Dazu sollten die paramilitärischen "vaterländischen Verbände" in die Reichswehr integriert werden, Pläne für einen "Marsch auf Berlin" wurden ausgearbeitet. Kahrs engster Mitarbeiter sprach öffentlich davon, dass die Damen doch ihre Liebsten ziehen lassen sollen. Es werde nicht lange dauern. | |||
Geradezu demonstrativ ordnete Kahr in diesen Tagen die Ausweisung von Juden aus Bayern an. Sechzig Familien mussten den Freistaat in großer Eile verlassen. | |||
Eine Aufarbeitung hätte man in Bayern gern vermieden | |||
Dass Kahr dann doch zögerte, hatte nicht mit einem Gesinnungswandel zu tun, sondern mit Gesprächen, die Seißer am 3. November in Berlin in seinem Auftrag führte. Seißer war mit der Botschaft zurückgekommen, man müsse den Anhängern einer nationalen Diktatur in Berlin noch Zeit geben. Hitler wurde darüber nicht informiert, er deutete Kahrs Zögern als Angst vor dem entscheidenden Schritt und preschte vor. Er wollte Kahr, Lossow und Seißer vor vollendete Tatsachen stellen, um ihnen, wie er sagte, den Sprung zu erleichtern - unter seiner Führung. | |||
All dies hat man in Bayern zu verschleiern versucht. Kahr, Lossow und Seißer behaupteten, nur "Komödie gespielt" und sich nie ernsthaft auf die Seite der Putschisten gestellt zu haben. Vieles spricht gegen diese Version. Auch von den Zeitgenossen wurde sie nicht geglaubt. Tagelang kam es nach dem gescheiterten Putsch zu Demonstrationen und Tumulten. Kahr fürchtete um Gesundheit und Leben. Er verbarrikadierte sich in einer Kaserne und betrat seine Wohnung längere Zeit nicht mehr. In München kursierte der Spottvers: "Kahr, Lossow, Seißer/Sind drei Hosenscheißer./Was um zehn Uhr sagt der Kahr,/ist um elf Uhr nicht mehr wahr." Bei der Landtagswahl 1924 erhielt der "Völkische Block", der anstelle der noch verbotenen NSDAP antrat, in München mehr als 30 Prozent, landesweit waren es 17 Prozent. | |||
Eine juristische Aufarbeitung hätte man in Bayern gern vermieden, aber das war angesichts der Toten schwierig. Hitler und den Mitverschwörern musste der Prozess gemacht werden, und der hätte, weil es um Hochverrat ging, zwingend in Leipzig vor dem Staatsgerichtshof stattfinden müssen. Das aber versuchte die Staatsregierung zu verhindern. Am Ende gab die Reichsregierung nach, und so fand das Verfahren vor dem Volksgericht München statt, einem in Revolutionszeiten entstandenen Sondergericht, gegen dessen Urteile keine Berufung möglich war. Vorsitzender Richter wurde Georg Neithardt, der sich schon im Verfahren gegen den Mörder Kurt Eisners einen Ruf als extrem rechtsstehender Richter erarbeitet hatte. | |||
Das "Führerprinzip" machte es bei der Aufarbeitung der Taten leicht | |||
Kahr, Lossow und Seißer sagten nur als Zeugen aus. 25 Prozesstage lang bekamen die Angeklagten und ihre Verteidiger Gelegenheit, Propagandareden zu halten. Die Atmosphäre vor Gericht war durchgängig antidemokratisch, antisemitisch und nationalistisch, das Urteil in vielerlei Hinsicht grob rechtsbeugend. Hitler wurde lediglich zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Das Gericht stellte ihm in Aussicht, schon nach sechs Monaten auf Bewährung entlassen zu werden. Das war schlicht rechtswidrig, weil Hitler noch eine Bewährungsstrafe von zwei Monaten aus einem früheren Verfahren abzusitzen hatte. Ebenso entschied das Gericht, den Ausländer Adolf Hitler nicht auszuweisen. Das hätte bei einem Hochverratsverbrechen zwingend erfolgen müssen. | |||
Die deutsche Geschichte und die Weltgeschichte wären wohl anders verlaufen, wenn die Justizorgane ihre Aufgaben pflichtgemäß erfüllt hätten und die bayerische Machtelite bereit gewesen wäre, die Beteiligung aus ihren eigenen Reihen kritisch aufzuarbeiten, statt möglichst viel unter den Teppich zu kehren. | |||
Hitler hat sich im Prozess gern in den Vordergrund gestellt. Das hat ihn in ganz Deutschland bekannt gemacht, seinen Ruf als "Führer" gestärkt. Am "Führerprinzip" hielt er auch in den Jahren danach stets fest - das war für andere Beteiligte durchaus bequem. Vor allem, als es nach dem Ende seines verbrecherischen und völkermörderischen Regimes darum ging, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. | |||
Als Gesellschaft hat uns das "Führerprinzip" so lange - und möglicherweise bis heute - daran gehindert, den Tatsachen offen ins Auge zu blicken und Konsequenzen zu ziehen. An den Novemberpogromen etwa waren keineswegs nur Schlägertrupps der SA beteiligt, sondern auf die eine oder andere Art und Weise etwa zehn Prozent der Deutschen. Wir sollten aufhören, uns hinter Hitler zu verstecken - in Sachen "Hitlerputsch" und im Hinblick auf Antisemitismus. Den gab es hierzulande vor Hitler und auch nach ihm. Inzwischen zeigt er sich wieder ganz offen. | |||
Wolfgang Niess ist Historiker und Journalist, Autor von "Der Hitlerputsch 1923 - Geschichte eines Hochverrats" (C.H. Beck) | |||
Hallo Karcher, einem mitten in der Bearbeitung die Zitatgrundlage zu löschen ist kontraproduktiv! | |||
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==Weblinks== | ==Weblinks== | ||
* Karl-Ulrich Gelberg (über): ''Hitler und Kahr. Die bayerischen Napoleonsgrößen von 1923.'' Untertitel: ''Ein im Untersuchungsausschuss des bay. Landtags aufgedeckter Justizskandal.'' 1928, 257 Seiten, [[Wilhelm Hoegner|Hoegners]] damals von der SPD anonym publ. Artikel über das Verfahren. In: [[Historisches Lexikon Bayerns]]. 18. März 2011 (mit vielen Zitaten aus den Verfahrens-Originalakten) | * Karl-Ulrich Gelberg (über): ''Hitler und Kahr. Die bayerischen Napoleonsgrößen von 1923.'' Untertitel: ''Ein im Untersuchungsausschuss des bay. Landtags aufgedeckter Justizskandal.'' 1928, 257 Seiten, [[Wilhelm Hoegner|Hoegners]] damals von der SPD anonym publ. Artikel über das Verfahren. In: [[Historisches Lexikon Bayerns]]. 18. März 2011 (mit vielen Zitaten aus den Verfahrens-Originalakten) |
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