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Der neunte November war wohl der „weihevollste Tag des nationalsozialistischen Feierjahres“ - der Anlass zu dem die religiös kultischen Züge der NS-Ideologie am deutlichsten sichtbar wurden. Gefeiert wurden die Aufrührer von 1923 als „Märtyerer“ des dritten Reichs, die beim Putschversuch ums Leben gekommenen sechzehn „alten Kämpfer“. Die Geschehnisse vom 9. November 1923 wurden im Zuge der über Jahre hinweg abgehaltenen Feierlichkeiten mythisiert, verfälscht, umgedeutet. Nicht zuletzt die Unwissenheit der Bevölkerung um die Ereignisse von 1923 ermöglichten die hochgradig propagandistische Auschlachtung des Datums – daher steht der folgende Artikel in der Pflicht, zumindest heute einen kleinen Teil des Wissens um die fatalen Ereignisse während der Nazizeit zu bewahren. | Der neunte November war wohl der „weihevollste Tag des nationalsozialistischen Feierjahres“ - der Anlass zu dem die religiös kultischen Züge der NS-Ideologie am deutlichsten sichtbar wurden. Gefeiert wurden die Aufrührer von 1923 als „Märtyerer“ des dritten Reichs, die beim Putschversuch ums Leben gekommenen sechzehn „alten Kämpfer“. Die Geschehnisse vom 9. November 1923 wurden im Zuge der über Jahre hinweg abgehaltenen Feierlichkeiten mythisiert, verfälscht, umgedeutet. Nicht zuletzt die Unwissenheit der Bevölkerung um die Ereignisse von 1923 ermöglichten die hochgradig propagandistische Auschlachtung des Datums – daher steht der folgende Artikel in der Pflicht, zumindest heute einen kleinen Teil des Wissens um die fatalen Ereignisse während der Nazizeit zu bewahren. | ||
In seinem Aufsatz „Mythos Kult und Feste – München im Nationlasozialistischen Feierjahr“ spricht Hans Günter Hockerts von München als einer „Bühne eines permanenten politischen Schauspiels“. Im Hinblick auf diese (und viele ähnliche) Aussagen soll die Inszenierung des 9. November durch die Nationalsozialisten in München in seiner Funktion als „Gedenktag der Gefallenen der Bewegung“ sorgfältig untersucht werden, wobei zunächst die geschichtlichen Fakten zum 9. | In seinem Aufsatz „Mythos Kult und Feste – München im Nationlasozialistischen Feierjahr“ spricht Hans Günter Hockerts von München als einer „Bühne eines permanenten politischen Schauspiels“. Im Hinblick auf diese (und viele ähnliche) Aussagen soll die Inszenierung des 9. November durch die Nationalsozialisten in München in seiner Funktion als „Gedenktag der Gefallenen der Bewegung“ sorgfältig untersucht werden, wobei zunächst die geschichtlichen Fakten zum 9. November [[1918]] und [[1923]] sowie die Entwicklung der inszenatorischen Umdeutung dieser Ereignisse durch die Nationalsozialisten aufzuzeigen sind. | ||
Bei der folgenden Beschreibung der Feierlichkeiten zum 9. | Bei der folgenden Beschreibung der Feierlichkeiten zum 9. November [[1935]] wird deren Inszenierungcharakter und die durch ihre Theatralität gewährleistete propagandistische Wirksamkeit besonders deutlich werden – daher sollen die auf ästhetische Wirkung hin durchdachte und mit deutlicher Intention geplante Organisation aller Abläufe und Handlungen in Form einer ''Inszenierungsanalyse'' bearbeitet werden. | ||
==Geschichtliche Fakten 1918, 1923== | ==Geschichtliche Fakten 1918, 1923== | ||
'''Zum 9. | '''Zum 9. November 1918 - Ende des Ersten Weltkriegs''' | ||
Schon lange vor dem so genannten Hitlerputsch war der 9. November von geschichtlicher und politischer Bedeutung. Am 9. | Schon lange vor dem so genannten Hitlerputsch war der 9. November von geschichtlicher und politischer Bedeutung. Am 9. November [[1918]] wurde die Abdankung des Kaisers Willhelm II. bekannt gegeben – der [[Erster Weltkrieg|Erste Weltkrieg]] war hiermit endgültig beendet – das Amt des deutschen Reichskanzlers wurde an den gemäßigten Sozialdemokraten [[Friedrich Ebert]] übergeben. Phillip Scheidemann rief vor dem deutschen Reichstagsgebäude die Republik aus. Fast zeitgleich verkündigte Karl Liebknecht die freie sozialistische Republik. Die politisch ungefestigte, von Aufständen erschütterte, von Nachkriegsarmut und Inflation gezeichnete Zeitspanne der [[Weimarer Republik]] war damit eingeläutet. In der frühen nationalsozialistischen Propaganda war das Datum daher Zeichen für die „schmachvollste“ Ära Deutschlands – später wurde der Wandel dieses „Tags der Schmach“ in den höchsten NS-Feiertag propagandistisch ausgeschlachtet. | ||
'''Zum 9. | '''Zum 9. November 1923 - der Putschversuch''' | ||
Der „[[Ludendorff-Hitler-Putsch|Ludendorff-Hitler-Putsch]]“ war ein Aufstands'''versuch''' neben anderen Versuchen der Rechtsextremen, welche die Regierungen der ersten demokratischen deutschen (despektierlich so genannten Weimarer) Republik stürzen wollten. Er stellte weder eine Ausnahme im politischen Geschehen dieser Zeit dar, noch tat er sich durch die geringsten Erfolge hervor. Soweit man vom „Ludendorff-Hitler-Putsch“ an sich spricht, könnte man sagen, dass dieser, kaum dass er begonnen hatte, auch schon wieder durch die Polizei beendet worden war. | Der „[[Ludendorff-Hitler-Putsch|Ludendorff-Hitler-Putsch]]“ war ein Aufstands'''versuch''' neben anderen Versuchen der Rechtsextremen, welche die Regierungen der ersten demokratischen deutschen (despektierlich so genannten Weimarer) Republik stürzen wollten. Er stellte weder eine Ausnahme im politischen Geschehen dieser Zeit dar, noch tat er sich durch die geringsten Erfolge hervor. Soweit man vom „Ludendorff-Hitler-Putsch“ an sich spricht, könnte man sagen, dass dieser, kaum dass er begonnen hatte, auch schon wieder durch die Polizei beendet worden war. | ||
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== 1938: Maurice Bavauds Attentatsversuch == | == 1938: Maurice Bavauds Attentatsversuch == | ||
Der 22-jährige Schweizer [[Maurice Bavaud]] wollte Hitler beim jährlichen NS-Gedenkmarsch am 9. November [[1938]] zur Münchner [[Feldherrnhalle]] | Der 22-jährige Schweizer [[Maurice Bavaud]] wollte Hitler beim jährlichen NS-Gedenkmarsch am 9. November [[1938]] zur Münchner [[Feldherrnhalle]] erschießen. Dazu gab er sich als begeisterter Nazi aus, um als Zuschauer einen Platz auf der Ehrentribüne zu bekommen. Das Attentat scheiterte, da Hitler von Bavaud zu weit entfernt war. | ||
Auch in den nächsten Tagen konnte Bavaud nicht nahe genug an Hitler herantreten, sodass er aufgab und mit dem Zug nach Paris ausreisen wollte. Da er keine Fahrkarte hatte, wurde er schon in {{WL2|Augsburg}} festgenommen. Im geheimen Prozess vor dem Volksgerichtshof am 18. Dezember 1939 gab er als Motiv an, Hitler töten zu wollen, da jener eine Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und für den Katholizismus in Deutschland sei. | Auch in den nächsten Tagen konnte Bavaud nicht nahe genug an Hitler herantreten, sodass er aufgab und mit dem Zug nach Paris ausreisen wollte. Da er keine Fahrkarte hatte, wurde er schon in {{WL2|Augsburg}} festgenommen. Im geheimen Prozess vor dem Volksgerichtshof am 18. Dezember 1939 gab er als Motiv an, Hitler töten zu wollen, da jener eine Gefahr für die Menschheit, für die Unabhängigkeit der Schweiz und für den Katholizismus in Deutschland sei. | ||
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Die Rehabilitation in der Schweiz zog sich bis [[1989]] hin. Ein Gedenkstele für Maurice Bavaud steht in seinem Heimatort Hauterive (bei Neuchatel). 1956 annulliert das Berliner Kammergericht den Schuldspruch. Die Bundesrepublik Deutschland sprach den Hinterbliebenen nach zwei Gerichtsverfahren eine Wiedergutmachung von 40.000 Schweizer Franken zu. Danach geriet er für Jahre in öffentliches Vergessen. | Die Rehabilitation in der Schweiz zog sich bis [[1989]] hin. Ein Gedenkstele für Maurice Bavaud steht in seinem Heimatort Hauterive (bei Neuchatel). 1956 annulliert das Berliner Kammergericht den Schuldspruch. Die Bundesrepublik Deutschland sprach den Hinterbliebenen nach zwei Gerichtsverfahren eine Wiedergutmachung von 40.000 Schweizer Franken zu. Danach geriet er für Jahre in öffentliches Vergessen. | ||
* Dazu ein Artikel bei Spiegel von Peter Maxwill: [http://einestages.spiegel.de/s/tb/29704/hitler-attentaeter-maurice-bavaud.html Der Theologe, der den Tyrannen jagte.] (Veröffentlicht am 6. | * Dazu ein Artikel bei Spiegel von Peter Maxwill: [http://einestages.spiegel.de/s/tb/29704/hitler-attentaeter-maurice-bavaud.html Der Theologe, der den Tyrannen jagte.] (Veröffentlicht am 6. November 2013. Mit Bildern) | ||
* Bücher | * Bücher | ||
** Niklaus Meienberg: ''Es ist kalt in Brandenburg. Ein Hitler-Attentat.'' Limmat Verlag, Zürich, 1980, 186 Seiten. | ** Niklaus Meienberg: ''Es ist kalt in Brandenburg. Ein Hitler-Attentat.'' Limmat Verlag, Zürich, 1980, 186 Seiten. | ||
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* ''Siehe dazu'' den Artikel über das [[Denkmal Zur Deutschen Einheit|Denkmal ''Zur Deutschen Einheit'']] | * ''Siehe dazu'' den Artikel über das [[Denkmal Zur Deutschen Einheit|Denkmal ''Zur Deutschen Einheit'']] | ||
== 2023: Erinnern und Mahnen == | |||
[[Bild:Rudolf_Schraut.jpg|thumb|302px|[[Münchner Gedenktafel|Gedenktafel]] an der Residenz ([[Residenzstraße]])]] | |||
Bernd Kastner schaut auf zwei Kundgebungen in München am 9. 11. 23 am Odeonsplatz: [https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-100-jahre-hitlerputsch-gedenkfeier-soeder-demo-gegen-rechts-odeonsplatz-ude-1.6301209 ''Demo gegen rechts'', dabei spricht Ude: "Werdet endlich wachsam!" Am Nachmittag sagt Söder bei der kleinen Gedenkfeier für die vier ermordeten Polizisten an der Feldherrenhalle: "Mag die Meute auch größer werden, mag die Radikalität auch zunehmen, wir können das abwehren, wenn wir zusammenstehen."] (Bericht in der [[SZ]] am 10. Nov. 23 vom Vortag. Der Verein „[[München ist bunt]]“ hat die Demonstration und Versammlung am Abend organisiert.) | |||
== Siehe auch == | |||
* [[Bewegte Versammlung vom 7. November 1918]], der Artikel zeigt schlaglichtartig den Gang der 1918er Revolution | * [[Bewegte Versammlung vom 7. November 1918]], der Artikel zeigt schlaglichtartig den Gang der 1918er Revolution | ||
* [[München in der Zeit des Nationalsozialismus]] | * [[München in der Zeit des Nationalsozialismus]] | ||
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* [[NSDAP-Gebäude_in_München_und_ihre_Reste#Die_beiden_Ehrentempel|Die beiden von den Nazis so genannten ''Ehrentempel'' für die Aufständler von 1923]] | * [[NSDAP-Gebäude_in_München_und_ihre_Reste#Die_beiden_Ehrentempel|Die beiden von den Nazis so genannten ''Ehrentempel'' für die Aufständler von 1923]] | ||
== Literatur == | |||
* Barbara Galaktionow: ''Chronologie eines Staatsstreichs.'' Süddeutsche Zeitung am 7. November 2023 | * Barbara Galaktionow: ''Chronologie eines Staatsstreichs.'' Süddeutsche Zeitung am 7. November 2023 | ||
* Andreas Heusler, Tobias Weger: ''Kristallnacht. Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938.'' Buchendorfer, 1998, ISBN 3927984868 | * Andreas Heusler, Tobias Weger: ''Kristallnacht. Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938.'' Buchendorfer, 1998, ISBN 3927984868 | ||
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* Im besetzten Frankreich - Serge Klarsfeld: ''Vichy – Auschwitz. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich'', Aus dem Französischen von Ahlrich Meyer, Nördlingen 1989; ISBN 978-3-534-20793-0 | * Im besetzten Frankreich - Serge Klarsfeld: ''Vichy – Auschwitz. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich'', Aus dem Französischen von Ahlrich Meyer, Nördlingen 1989; ISBN 978-3-534-20793-0 | ||
== Weblinks == | |||
* [http://www.zeitenblicke.de/2004/02/schleusener/ Am Beispiel Bernheimer] (zeitenblicke.de) | * [http://www.zeitenblicke.de/2004/02/schleusener/ Am Beispiel Bernheimer] (zeitenblicke.de) | ||
* [http://www.bpb.de/files/8Q3HM0.pdf „9_11_1938_4.pdf“ Bildkarte von den Zerstörungen in der Innenstadt ], bei Die inszenierte Empörung. Der 9. November 1938 - Bei bpb -Bundeszentrale ... 2010, ab S. 14 ([[Liste 1938 NS-Pogrom]]) | * [http://www.bpb.de/files/8Q3HM0.pdf „9_11_1938_4.pdf“ Bildkarte von den Zerstörungen in der Innenstadt ], bei Die inszenierte Empörung. Der 9. November 1938 - Bei bpb -Bundeszentrale ... 2010, ab S. 14 ([[Liste 1938 NS-Pogrom]]) |
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