Pressereferat des Bayrischen Kriegsministeriums: Unterschied zwischen den Versionen

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Das Ministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten sah sich deshalb veranlasst, das weibliche Lehrpersonal in einem besonderen Schreiben vor der Gefährlichkeit des Pazifismus zu warnen.
Das Ministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten sah sich deshalb veranlasst, das weibliche Lehrpersonal in einem besonderen Schreiben vor der Gefährlichkeit des Pazifismus zu warnen.
== Julius Friedrich Lehmann ==
 
In München entstanden im März 1916 zwei Kriegszielprogramme, die von bayerischen Annexionisten unterschrieben waren.<ref>KA. Mkr. 13876, Bl.3-4</ref> Unter dem Titel ''Richtlinien für Wege zu einem dauerhaften Frieden'' fand diese Denkschrift als Flugblatt Verbreitung. Die Zensurbehörde bezeichnete die ''Richtlinien'' als eine unzulässige Kriegszielerörterung im Sinne der Annexionisten. Darin wurde ebenfalls die Angliederung Belgiens an das deutsche Reich gefordert, sowie die Übernahme der politischen Vertretung nach außen, die Annexion der französischen Grubengebiete, die Angliederung der Ostseeprovinzen und der südlich anschließenden Gouvernements an das deutsche Reich und schließlich die Gewinnung von Flottenstützpunkten gegenüber der englischen Küste. Der Aufruf fand, wie schon gesagt, in Form eines Flugblattes in ganz Bayern Verbreitung. Beigefügt war ein Formular für die Zustimmungserklärung zu einer Eingabe an den Bundesrat und den Reichstag. Die Unterzeichner waren 91 Persönlichkeiten aus allen Gesellschaftskreisen Bayerns. Professoren, Beamte, Politiker, Vorstände von Parteien und wirtschaftlichen Verbänden mit Ausnahme der sozialdemokratischen. Allein elf Mitglieder der Abgeordnetenkammer zählten zu den Unterzeichnern.
 
Am Kopf des Blattes war der Vermerk angebracht: „Streng vertraulich!“ Nicht zum Abdruck in der Presse bestimmt. Als Handschrift gedruckt, München, März 1916“, Entgegen den Vorschriften des Reichspressegesetzes, hier § 6, enthielt das Flugblatt nicht den Namen des Druckers. <ref>KA. Mkr. 13876, Bl.3-4</ref> Die Zensurbehörde brachte in Erfahrung, dass der Verlag Julius Friedrich Lehmann Lehmann die Versendung dieses Kriegszielprogrammes betrieben hatte.
 
 
Die beigefügten Zustimmungsformulare trugen noch den gedruckten Vermerk: „Zurück, wenn nicht anders angegeben ist, and Herrn Kommerzienrat {{WL2|Karl Stöhr (Architekt)}}, München, [[Schwanthalerstraße]] 11 und ferner an den {{WL2|Julius Friedrich Lehmann}}'s Verlag, München, [[Paul-Heyse-Straße]] 26“. Die Schrift war der Zensur nicht vorgelegt worden, obwohl seit dem Dezember 1915 auch die Drucker verpflichtet worden waren, Druckschriften, die noch nicht zensiert waren und ihren Inhalt nach unter die Zensurbestimmungen fielen, der militärischen Zensur vorzulegen. Das Pressereferat konstatierte daher, im Falle dieser Denkschrift habe sich der Drucker nicht nur nach § 6 des Reichspreßgesetz, sondern für den Fall, dass es sich um eine bayerische Druckerei handle, auch noch nach Artikel 4 Ziffer 2 des Kriegszustandsgesetzes strafbar gemacht.
 
Am 22. Januar 1916 legte {{WL2|August Rothpletz}} dem Pressereferenten im Pressereferat, der Text des Flugblattes ohne die Unterschriften, datiert auf Februar vor und erklärte, dass er von {{WL2|Emil Kraepelin}}, einem der 90 Unterzeichner, ersucht worden sei, sich an der Unterzeichnung zu beteiligen. Dabei wies der Pressereferent den Besucher sofort darauf hin, dass sich der Drucker des Flugblattes bereits strafbar gemacht habe. Sonnenburg versuchte Rothepletz davon zu überzeugen, dass die „öffentliche Aufstellung derart weitgehender Kriegsziele schon an sich bedenklich sei, auf jeden Fall aber wegen der unausbleiblichen, leidenschaftlichen Gegenäußerungen der Annexionsgegner schädlich wirken werde“. Rothepletz verzichtete auf eine Unterzeichnung.
 
Schon bald konnte die Zensur aus einer Äußerung des bekannten Führers der Pazifisten {{WL2|Ludwig Quidde}}, entnehmen, dass die annexionistische Kriegszielpropaganda nich unbeachtet bleiben werden und dass sich für die Pazifisten die Frage beantworten werde „ob die Zensur mit gleichem Maß messe“. Die Zensurbehörde verfügte die Beschlagnahme der Denkschrift für ganz Bayern und regte gleichzeitig bei der Oberzensurstelle in Berlin eine Erstreckung dieser Maßnahme auf das ganze Reich an.
  
In den Augen der Zensurbehörde bestand kein Zweifel daran, dass nur der Verleger {{WL2|Julius Friedrich Lehmann}} als Verbreiter der Denkschrift ''Richtlinien für Wege zu einem dauernden Frieden'' in Frage kam, und man mutmaßte, dass er auch den Drucker zur Verletzung des Reichspreßgesetzes angeestiftet hatte. <ref> KA. Mkr. 13876, Bl. 3 und 4 </ref> Lehmann, „der keine lüge und Hinterhältigkeit scheut, um die Militärbehörden zu täuschen um seine fanatische alldeutsche Agitation durchzusetzen“, wurde nun mit dem Hinweis auf Artikel 4 Ziffer 2 des Kriegszustandsgesetzes geboten, über den Drucker und den Hergang der Verbreitung der Flugschrift Auskunft zu geben. Am 24. April 1916 erstattete das Kriegsministerium Anzeige gegen den unbekannten Drucker wegen Herstellung und Verbreitung des Aufrufs. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein; es erwirkte die gerichtliche Beschlagnahmung und gleichzeitig die zeugenschaftliche eidliche Vernehmung des Verlegers Lehmann und des genannten Kommerzienrates Stöhr.
 
 
Wie weit jedoch der Einfluss des alldeutschen Gedankenguts in den staatlichen Behörden reichte, zeigt der Bericht des Kriegsministeriums über die gerichtliche Behandlung des Falls. <ref>KA. Mkr. 13879, Bl 91 und 92, auch zum folgenden</ref>
 
Bei der Vernehmung schworen die Zeugen, „den Namen des Druckers nicht angeben zu können“. Ob sie ihn nicht kannten oder nicht angeben wollten, ging daher aus den Akten nicht hervor.
 
 
Der Staatsanwalt nahm daraufhin mit einem der Unterzeichner des Flugblattes, dem Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer, Rücksprache und versuchte, ohne richterliche Vernehmung den Namen des Druckers in Erfahrung zu bringen. In der Aussprache gewann nun der Staatsanwalt die Überzeugung, dass die Unterzeichner ohne gerichtliche Vernehmung den Namen des Druckers keinesfalls nennen würden und dass die beteiligten Persönlichkeiten sogar entschlossen waren, gegebenfalls ein Zeugnisszwangsverfahren über sich ergehen zu lassen. Angesichts dieser Situation regte nun der Staatsanwalt an, das Verfahren einzustellen. Bei seinem Antrag leitete vor allem auch die Erwägung, dass die zeugenschaftliche Vernehmung der Unterzeichner nur ein negatives Ergebnis zeitigen würde und dass die durch ein derartiges gerichtliches Verfahren hervorgerufene Erregung in den beteiligten Kreisen „mit der Folge politischer Erörterungen“ in den Parlamenten in keinem Verhältnis zu der begangenen Straftat und der zu erwartenden Straf stehen werde. Dem fügte der Staatsanwalt noch hinzu, dass der Inhalt des Flugblattes durch die Erörterung der Kriegsziele im Reichstag wie auch im Landtag, überholt sei.<ref>Rede Bethmann Hollwegs vor dem Reichstag am 5. April 1916</ref>
 
In den Ministerialakten betonte der zuständige Sachbearbeiter, dass die Argumente des Staatsanwaltes fast ausschließlich politischer Natur seien. Nicht ohne den Ton der Erbitterung vermerkte Sonnenburg in einem Geheimvermerk zu der weiteren Behandlung <ref>KA. Mkr. 13879, Bl. 91 und 92 auch zum folgenden.</ref>
 
Eine Erfolgreiche Durchführung des Verfahrens würde eines vorraussetzen: den Willen der beteiligten Justizbehörden, ohne Angaben der Person und er Partei vorzugehen. Dieser Wille scheint in so weitgehendem Maße zu fehlen, dass es das Beste sein dürfte, auf die weitere Verfolgung der Sache zu verzichten.
 
Auch die Art und Weise , in welcher der Ermittlungsrichter das Verfahren geleitet hatte, ließ Sonnenburg den Vorwurf erheben, dass die Art der Zeugenaussagen mit durch mangelnden Willen oder Fahrlässigkeit erklärbar sei. So hatte der Kommerzienrat Stöhr eidlich versichert: „... Ich kan den Drucke nicht bezeichnen“ …“ wer aber der Drucker des Aufrufes ist, kann ich nicht angeben und Lehmann hatte ebenso geäußert:“.. Ich kann Namen des Druckers nicht angeben“.
 
Die Zweideutigkeit und unleugbare Verschleierung, die in den Aussagenlag, mußten den Zensoren wie Hohn vorkommen. So vermißte der Pressereferent auch jegliche Bemühung des Ermittlungsrichters, die Vorgänge um die Entstehung der Denkschrift zu klären. Weiter fehlte jede Antwort auf die naheliegenden Fragen, wer die Versammlung, die mit der Denkschrift beschäftigt war, leitete, ob man einen Redaktionsausschuß eingesetzt hatte, wer verantwortlich die Verhandlungen mit dem Drucker geführt hatte und schließlich, ob über die Zensur geredet worden war. Das Protokoll des Ermittlungsrichters enthielt stattdessen nur zusammenhanglose Sätze, die für die Sache unerheblich, teilweise zweideutig und irreführend waren. So hatte Kommerzienrat Stöhr untere Eid erklärt: „Ich erhielt lediglich das Druckerzeugnis zugestellt!“ Tatsächlich wurde Stöhr aber auf dem Zustimmungsformular als diejenige Peson angegeben, an die die Zustimmungserklärungen eingesandt werden sollten. Daraus war nun logischerweise zu schließen, dass Stöhr sich hierzu bereit erklärt hatte und folglich auch einen Mitverfassers des Aufrufs gekannt und zu den Eingeweihten gehört haben mußte. Erst bei einer zweiten, nicht eidlichen Vernehmung durch den ersten Staatsanwalt gab Stöhr an:“Wer die Drucklegung zu besorgen übernahm und den Antrag hiezu erteilte, sowie bei wem der Aufruf gedruckt wurde, weiß ich nicht“. In dieser Form stellte die Bemerkung Stöhrs nichts anderes als eine Vormerkung des Staatsanwalts dar – sie war ohne jeden Beweiswert und auch von Stöhr nicht unterschrieben.
 
Der bereits genannte Professor Kraepelin, der als Versammlungsleiter zweifellos über die Vorgänge Bescheid wußte, wurde weder richterlich noch staatsanwaltschaftlich vernommen. Stattdessen wählte der Staatsanwalt den nicht ganz üblichen Weg eines persönlichen, außerdienstlichen Gesprächs mit einem der Unterzeichner, Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer. Seinen Bericht baute der Staatsanwalt auf der persönlichen Ansicht Wilhelm Rohrers, dass alle Beteiligten des Flugblattes gegebenfalls das Zeugnisszwangsverfahren über sich ergehen lassen würden, auf und beantragte die Einstellung des Verfahrens. Der Oberstaatsanwalt trat den Ausführungen des Staatsanwaltes vollinhaltlich bei.
 
Die Fragwürdigkeit des staatsanwaltschaftlichen Berichts begann bereits damit, dass zu Beginn seiner Ausführungen die Behauptung stand, die Zeugen hätten bei ihrer eidlichen Vernehmung erklärt, den Namen des Druckers nicht zu kennen. Aus den Protokollen ging jedoch hervor, dass sie lediglich erklärten, den Namen nicht angeben zu können.
 
Mit seiner ausführlichen Darlegung der politischen Bedenken versuchte der Staatsanwalt offensichtlich zu begründen, dass die Schwere des Mittels des Zeugniszwangsverfahrens in keinem Verhältnis stehe zu der Wichtigkeit des auf diesem Wege erstrebten Zweckes. Da außerdem die politischen Erörterungen des Staatsanwalts nur im Hinblick auf die Durchführung eines Zeugniszwangsverfahrens relevant waren, hätte man erwarten können, dass der Staatsanwalt diese Möglichkeit erst einmal akut werden ließ, also abwarten würde, ob einer der Zeugen bei einer richterlichen Vernehmung tatsächlich die Aussage verweigert hätte. Die abgegebenen Äußerungen von Stöhr und Lehmann stellten ja keine Aussageverweigerug das, sondern nur den geglückten Versuch einer Aussageverschleierung. Durch die Art dieses Vorgehens hatte der Staatsanwalt sämtlichen in Betracht kommenden Zeugen die Wahl zwischen Aussage und Zeugnisverweigerung erspart. Zudem basierte die staatsanwaltschaftliche Entscheidung primär auf der höchst subjektiven und von persönlichen und politischen Interessen beeinflußten Meinungsäußerungen des eventuellen Zeugen Wilhelm Rohrer und auf der „in den beteiligten Kreisen herrschenden herrschenden Erregung“. Im Normalfall wurde vor Gericht wohl kaum von der Ladung eines Zeugen abgesehen, nur weil Möglichkeit bestand, dass der Zeuge seine Aussage verweigern würde. Nicht zu unrecht bemerkte auch der Pressereferent, dass für den Einstellungs-Antrag des Staatsanwalts noch Zeit gewesen wäre, wenn Professor Kraepelin oder der Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer bei einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter tatsächlich ihre Aussage verweigert hätten. Erstaunlich blieb die Tatsache, dass diese beiden Zeugen vom Staatsanwalt nicht dienstlich vernommen worden wurden. Auch die politischen Bedenken des Staatsanwaltes entbehren nicht einer gewissen Fragwürdigkeit. Die durch die Anzeige des Kriegsministers in Gang gesetzte Strafverfolgung hatte vordergründig zumindest für die mit der Verfolgung beauftragten Justizbehörde, weder mit de Zensur noch mit der „angesprochenen politischen Komponente etwas zu tun“. Die Anzeige des Kriegsministeriums gründete auf der Verletzung des §6 des Reichspreßgesetz. <ref>Abgedruckt be E.R. Huber; Dokumente B., , a,a, Ort., S.369</ref> einer auch im Frieden allgemein gültigen presspolizeilichen Bestimmung. Auch der Hinweis auf die „in den beteiligten Kreisen herrschende Erregung“ erkannte die Zensurstelle“ nicht als Argument an. Der zuständige Sachbearbeitermeister konstatierte:
 
Wer Offizialdelikte begehrt, hat auch stets Strafverfolgung zu gewärtigen und könne etwa vom Zaun gebrochenen „Zensurdebatten“ und aus patriotischen Motiven“ und zu Gunsten bestimmter Programme reichsgesetzliche Bestimmungen straflos solle verletzend dürfen, ist zwar die Ansicht einiger Fanatiker vom Schlage des Verlegers Lehmann, wird aber kaum die Billigung der Parlamente finden, die immer noch auf dem Standpunkt stehen, dass die Gesetze für alle gelten, und jede Partei – und Klassenjustiz verwerfen.
=== Rede Theobald von Bethmann Hollweg 5. April 1916===
Der Hinweis des Staatsanwaltes auf die '''Rede des Reichskanzlers vom 5. April 1916''' und auf seine Unterredung mit einem Journalisten sollte besagen, die Reichsleitung habe den Inhalt des Flugblattes im wesentlichen gebilligt. Das Pressereferat stellte dazu fest: “Eine solche Übereinstimmung kann nicht anerkannt werden“.<ref>Vgl. Dazu Ernst Heinen, Zentrumspresse und Kriegszieldiskussion unter besonderer Berücksichtigung der Kölnischen Volkszeitung und der Germania, Druck: Photostelle der Universität, 1962 - 266 S. , S. 23-28</ref>In der Rede des Reichskanzlers {{WL2|Theobald von Bethmann Hollweg}} vor dem Reichstag am 5. April nahm die deutsche Ostpolitik einen breiten Raum ein.<ref>For {{WL2|Herbert Henry Asquith}}  the complete and final destruction of Prussia's military power is prerequisite for any peace negotiations. {{WL2|Herbert Henry Asquith}}  nannte die die vollständige und endgültige Zerstörung der militärischen Macht Preußens als Vorbedingung für Friedensverhandlungen. Worauf {{WL2|Theobald von Bethmann Hollweg}} am 5. April 1916 zu den Kriegszielen und der Neugestaltung Europas vor dem Reichstag sprach: Sinn und Ziel dieses Krieges ist uns ein Deutschland, so fest gefügt, so stark beschirmt, dass niemand wieder in die Versuchung gerät, uns vernichten zu wollen, dass jedermann in der weiten Welt unser Recht auf Betätigung unserer friedlichen Kräfte anerkennen muss ... Stefan Bollinger, Weltbrand, "Urkatastrophe" und linke Scheidewege: Fragen an den "Großen Krieg", [https://books.google.de/books?id=hmh4DwAAQBAJ&pg=PT73&dq=%22Den+status+quo+ante+(d.+h.+den+Zustand,+in+dem+es+vorher+war+%E2%80%93+St.+B.)+kennt+nach+so+ungeheuren+Geschehnissen+die+Geschichte+nicht.%22&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwi_tMypkObjAhXC5KYKHenWBAEQ6AEIKDAA#v=onepage&q=%22Den%20status%20quo%20ante%20(d.%20h.%20den%20Zustand%2C%20in%20dem%20es%20vorher%20war%20%E2%80%93%20St.%20B.)%20kennt%20nach%20so%20ungeheuren%20Geschehnissen%20die%20Geschichte%20nicht.%22&f=false] auch Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht: die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland, 1914/18, Droste, 1971 - 902 S.,  S. 297; Bethmann Hollweg am 5. April 1916 Forderungen aufgestellt: "Den status quo ante kennt nach so ungeheuren Geschehnissen die Geschichte nicht." Es dürfe, wenn Nachbarstaaten sich zusammenschließen und Deutschland "erdrosseln" wollten, künftig für sie "keine Einfallstore" geben. Unter dieser Devise hatte er angedeutet, Deutschland werde Gebiete Polens, Litauens und der baltischen Staaten unter seine Herrschaft bringen. Auch eine Verschiebung der Westgrenze, die dauerhafte Beherrschung Belgiens nach der Abtrennung Flanderns, wurde als Kriegsziel genannt. [https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0202_bet&object=context&l=de]</ref> In der gesamten Presse im Reich von der „Kreuzzeitung“ bis zum „Vorwärts“, wurde diese Kanzlerrede als Bekenntnis zu einem entschiedenen Anexionismus im Sinne der Eingabe der sechs Wirtschaftsverbände vom März 1915 verstanden Auch die Sprecher der Parteien in der Reichstagsdebate unterstrichen, mit Ausnahme des Abgeordneten {{WL2|Hugo Haase}}<ref>{{WL2|Hugo Haase}} war Sprecher der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, einer Vorläuferin der USPD</ref>  die Forderungen des Reichskanzlers, besonders im Hinblick auf Belgien. Sogar der Hauptsprecher der Sozialdemokraten, {{WL2|Phillip Scheidemann}}, begrüßte die Befreiung Rußlands vom zaristischen Joch wie auch die Förderung des flämischen Bevölkerungsteils in Belgien. Auch er hielt eine Rückkehr zum status quo ante nicht mehr für möglich.<ref>Vgl. F. Fischer: Griff nach der Weltmacht, a.a.O. S. 297</ref>
Bedenkt man den politischen Standort des Pressereferenten nach dem Krieg, so verwundert dessen eigenwillige Interpretation der Behtmann'schen Rede, wonach sich der Kanzler gegen Annexionen ausgesprochen hatte.
Entscheidend für die Einstellung der Zensurbehörde waren weniger diese politischen Überlegungen zur Bethmann Hollweg'schen Rede vom 5. April 1916 als vielmehr die praktischen Auswirkungen des Vorgehens der Justizbehörden im Zusammenhang der Denkschrift ''Richtlinien für Wege zu einem dauerhaften Frieden''. Selbst für den Fall, dass die Entscheidung des Staatsanwaltes, das Verfahren einzustellen, als richtig anzuerkennen war, so befürchtete das Kriegsministerium, bei einer Einstellung des Verfahrens möchten die Pazifisten, dazu zählte er auch in diesem Zusammenhang die Sozialdemokratie, nun den Vorwurf erheben, es werde nicht mit gleichem Maß gemessen. Der zuständige Zensor bemerkte, dieser Vorwurf werde in der Öffentlichkeit wie auch in den Parlamenten an die Adresse der obersten bayerischen Militärbehörde gerichtet werden. Die Allgemeinheit erfahre nicht, in welchem Stadium und durch wessen Schuld das Verfahren worden sei. Für das Kriegsministerium ergebe sich die unangenehme Lage, entweder den unausbleiblichen Vorwurf der Pazifisten auf sich sitzen zu lassen, oder durch ihre Rechtfertigung im Landtag die Justizbehörde zu kompromitieren.
 
Wenngleich der Pressereferent an seinen Einwänden gegen das Verfahren der Justizbehörde festhielt, so beantragte er doch die Einstellung des Verfahrens. Er stellte fest.<ref>KA. Mkr. 13879, B. 91. - 92</ref>
… dass bei der Stärke der Widerstands auf Seiten der Justizbehörden (parteipolitiche Sympahtine für die Unterzeichner des Aufrufs, persönliche Rücksichtnahme auf Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Rohrer und auf andere einflussreiche, dem Aufruf nahestehenden Justizbeamte) etwaige Gegenvorstellungen doch nutzlos wären, gegen passive Resistenz ist nicht anzukämpfen.
 
Das Verhalten der Justizbehörde im Fall des Flugblattes „Richtlinien für Wege zu einem dauernden Frieden“ sollte auf die Einstellung der militärischen Zensurbehörde in der Justiz eher eien Hemmschuh für ihr Wirken als eine Unterstützung.Zumindest in den Ministerialakten erhob der Referent gegenüber den Justizbehörden offen den Vorwurf der Parteilichkeit. Sonnenburgs personelle, politische Linie, die indem loyalen Verhalten der Zensur gegenüber dem Reichskanzler Bethmann hollweg ihren Ausdruck fand stieß offenbar bei einigen höheren Justizbeamten auf ein ernstes Hindernis, dessen sich der Pressereferent auch bei späteren Maßnahmen immer wieder bewußt war. Als überzeugten Föderalist suchte er mit allen ihm Gebote stehenden jenen Reichskanzler zu stützen, der die föderale Struktur des Reiches garantierte. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass die nämliche Zensurbehörde sich auch für einen weniger föderalistisch eingestellten Kanzler mit der gleichen Intensität eingesetzt hätte. Hier spielte in Bayern das politische Eigeninteresse einen nicht zu unterschätzende Rolle.
Auch die zweite Denkschrift mit 101 Unterzeichnern war weitgehend mit den ''Richtlinien für Wege zu einem dauernden Frieden'' identisch; dies galt auch für die Unterzeichner, wobei zu der zweiten zu bemerken ist, dass sie von Persönlichkeiten unterzeichnet wurde, die sonst nicht zur Kriegszielbewegung in München gezählt werden konnten, wie der Präsident {{WL2|Kammer der Abgeordneten (Bayern)}}, {{WL2|Georg von Orterer}} und der links-liberale Dr. {{WL2|Ernst Müller-Meiningen}}, sowie der Verkehrsminister a.D. {{WL2|Heinrich von Frauendorfer}}.<ref> KA. Mkr. 13871, Bl 197</ref> Zu den Unterzeichnern beider Denkschriften gehörte auch der in München für die alldeutsche Propaganda besonders aktive Verleger Julius Friedrich Lehmann.
 
Die beiden Programme vom März 1916 deuten schon darauf hin, dass sich zu diesem Zeitpunkt eine eigenständige Kriegszielbewegung in München herausgebildet hatte. Der Kreis der Unterzeichner war im Hinblick auf die politischen Standorte äußerst heterogen; dennoch bleibt festzustellen, dass bestimmte politische Fragen, wie die Kriegszieldiskussion, keinesfalls auf die alldeutschen Kreise beschränkt blieben. Wenn auch für Bayern festzustellen ist, dass gerade unter dem Einfluss der alldeutschen Vertreter die alldeutsch-annexionistische und später auch als Wegbereiter des Kanzlersturzes agierende Richtung in München besonders stark wirksam war.
 
Diese extreme Richtung scheute auch von Anfang an nicht die Auseineandersetzung mit der Zensur. Insgesamt gesehen ging der stille Kampf zwischen den Alldeutschen und der Zensur häufig zu Ungunsten der staatlichen Behörde aus. Das Kriegsministerium sah sich daher veranlasst, die Verbote zur Kriegszielerörterung zu erneuern und zu verschärfen. Im Dezember 1915 erging an alle Drucker die Anweisung, alle Aufträge für jede Art von Vervielfältigung, deren Inhalt unter die Zensurbestimmungen fiel zunächst der zuständigen Zensurstelle zu Vorzensur vorzulegen.<ref>Vgl. Ebenda, vgl. dazu S. 260 f.</ref>
 
Hinter diesem Erlass verbarg sich die Ohnmacht der militärischen Zensur gegenüber den politischen Gruppen verschiedenster Couleur. Vornehmlich suchte sie jedoch, auf diesem Wege de alldeutschen-annexionistisschen Publikationen Herr zu werden. Obwohl die Zensur unter Sonenburgs Leitung dieser Gruppe aus mannigfachen Gründen mit besonderer Strenge begegnete, hatte sie doch allzuoft das Nachsehen.
 
Die zensurelle Behandlung der Claß'schen Denkschrift und des Verleger Julius Friedrich Lehmann
Als ein charakteristischer Vertreter der alldeutschen Aktivitäten im Münchner Raum kann der Verleger angesehen werden. Noch im Dezember 1914 gab die Münchner Zensurbehörde entgengen den Bedenken des Preußischen Kriegsministeriums dem Julius Friedrich Lehmann Verlag „in Anbetracht der großen vaterländischen Verdienste, die sich die Firma Lehmann ohne Zweifel mit und durch Spendung von 10 000 Mk in bar … während des Krieges erworben hat“ die Druckerlaubnis für das geplante ''Taschenbuch der Luftflotten''. <ref>KA. Mkr. 13858, Bl. 86</ref> Bis zu diesem Zeitpunkt war die Zensurbehörde der politische Standpunkt des Verlegers offenbar nicht bekannt. Erst sein den spektakulären behördlichen Maßnahmen gegen die bekannte Denkschrift des Vorsitzenden des {{WL2|Alldeutscher Verband|Alldeutschen Verbandes}} {{WL2|Heinrich Claß}} wurdne die Zensoren des Kriegsministeriums auch auf die politische Aktivität Lehmanns aufmeksamt, der in seiner Eigenschaft als Verleger und Verbandsfreund von Claß keinen Schritt unterließ, um die Freigabe der Denkschrift zu erwirken <ref>{{WL2|Heinrich Claß}}, Denkschrift btr. Die national-wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele des deutschen Volkes im gegenwärtigen Kriege. Als Handschrift gedruckt. Claß schreibt in seinen Erinnerungen, dass sich Lehmann im Zusammenhang mit der Versendung seiner Denkschrift in „überflüssiger Gewissenhaftigkeit“ an die Pressestelle des bayerischen Kriegsministeriums gewandt und von ihr den Bescheid erhalten hatte, dass eine als Handschrift gedruckte Denkschrift als eine außerhalb der Öffentlichkeit vor sich gehende Meinungskundgebung aufzufassen sei und dass deshalb gegen ihren Druck und Versand keine Bedenken beständen“. Heinrich Claß: Wider den Strom. 1932, S. 350. Vgl. dazu auch Klaus Schwabe, »Ursprung und Verbreitung des alldeutschen Annexionismus in der deutschen Professorenschaft im Ersten Weltkrieg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 14 (1966), S. 105–138, hier S. 107 und F. Fischer: Griff nach der Weltmacht, a.a.O., S. 198</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
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Korreferent: Prof. Dr. {{WL2|Otto B. Roegele}}
Korreferent: Prof. Dr. {{WL2|Otto B. Roegele}}
Tag der mündlichen Prüfung 12. Juli 1972  -->
Tag der mündlichen Prüfung 12. Juli 1972  -->
[[Bild:Mueschfestrarch2011a.jpg|thumb|Das Staatsarchiv in der [[Schönfeldstraße]] <ref>Die Aktenbestände des  ehemaligen bayerischen Kriegsministeriums in München vermitteln ein detailliertes Bild der innenpolitischen Meinungen und Stimmungen im Bayern der Weltkriegsjahre. Der fast geschlossen erhaltene Aktenbestand ist in seiner Art sicher einzigartig. Das Pressereferat des bayerischen Kriegsministerium hatte die Funktion einer obersten bayerischen Zensurstelle, die kraft iher Stellung die Richtlinien für den gesamten bayerischen Zensurbereich also  für die einzelnen stellvertretenden Generalkommandos München, Würzburg und Nürnberg ausgab. Wenn auch der größte Teil der Zensurrichtlinien meistens aus Berlin aus übernommen wurde, so ergingen sich doch an die bayerischen stellvertretenden Generalkommandos immer als Erlasse des bayerischen Kriegsministeriums. Vergleichbares Material der Organe der Obersten Heeresleitung, wie die Akten der Abteilung IIIb des Generalstabes, wie des Kriegspresseamtes oder  der Oberzensurstelle sowie des preußischen Kriegsministeriums, ist nicht mehr greifbar. Diese Bestände sind bei dem Brand des Potsdammer Heeresarchiv 1945 völlig vernichtet worden. Der noch vorhandene Bestand des bayerischen Kriegsministeriums bildet daher die einzige Quellenbasis für eine Rekonstruktion der Stimmungen und publizisitischen Auseinandersetzungen im Bayern des ersten Weltkrieges und darüber hinaus, soweit das bayerische Kriegsministerium sich den Berliner Maßnahmen anschloss.</ref> ]]
[[Bild:Mueschfestrarch2011a.jpg|thumb|Das Staatsarchiv in der [[Schönfeldstraße]] <ref>Die Aktenbestände des  ehemaligen bayerischen Kriegsministeriums in München vermitteln ein detailliertes Bild der innenpolitischen Meinungen und Stimmungen im Bayern der Weltkriegsjahre. Der fast geschlossen erhaltene Aktenbestand ist in seiner Art sicher einzigartig. Das Pressereferat des bayerischen Kriegsministerium hatte die Funktion einer obersten bayerischen Zensurstelle, die kraft iher Stellung die Richtlinien für den gesamten bayerischen Zensurbereich also  für die einzelnen stellvertretenden Generalkommandos München, Würzburg und Nürnberg ausgab. Wenn auch der größte Teil der Zensurrichtlinien meistens aus Berlin aus übernommen wurde, so ergingen sich doch an die bayerischen stellvertretenden Generalkommandos immer als Erlasse des bayerischen Kriegsministeriums. Vergleichbares Material der Organe der Obersten Heeresleitung, wie die Akten der Abteilung IIIb des Generalstabes, wie des Kriegspresseamtes oder  der Oberzensurstelle sowie des preußischen Kriegsministeriums, ist nicht mehr greifbar. Diese Bestände sind bei dem Brand des Potsdammer Heeresarchiv 1945 völlig vernichtet worden. Der noch vorhandene Bestand des bayerischen Kriegsministeriums bildet daher die einzige Quellenbasis für eine Rekonstruktion der Stimmungen und publizisitischen Auseinandersetzungen im Bayern des ersten Weltkrieges und darüber hinaus, soweit das bayerische Kriegsministerium sich den Berliner Maßnahmen anschloss.</ref> <!--Als Fotounterschrift zu lang? Grund für die Fotounterschrift war das Zusammentreffen von Bürogebäude des Kriegsministeriums und Archiv der Unterlagen-->]]
 
{{SORTIERUNG:Kriegsministeriums, Pressereferat des Bayrischen}}
==Fußnoten==
==Fußnoten==
<references/>
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[[Kategorie:Zensur]]
[[Kategorie:Zensur]]
[[Kategorie:20. Jahrhundert]]
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