Gerhard Schmidt


Zeit des Mordens

Bis Juni 1941 wurden mehr als 2000 Patienten der Anstalt Eglfing-Haar und von anderen Pflegeanstalten, für die Haar als Zwischenstation zur Verschleierung ihres Verbleibs diente, in den Tötungsanstalten Grafeneck und Hartheim bei Linz brutal umgebracht.

Ab 1943 folgte dann der „Hungerkost-Erlass“ des Bayerischen Innenministeriums, nach dem Patienten schlechter verpflegt werden sollten, wenn sie keine nutzbringende Arbeit leisteten — die Hungerhäuser wurden eingerichtet. Hier starben bis Juni 1945 insgesamt 429 Menschen an den Folgen des Nahrungsentzugs.

Auch die Kinder-Euthanasie wurden Morde an Kindern in Haar verharmlosend genannt: 322 psychisch kranke und schwerbehinderte Kinder starben in der sogenannten „Fachabteilung“ an den Folgen massiver Medikamentengaben.

Zeit nach der Befreiung ?

„Am 2. Mai 1945 rückten amerikanische Truppen in Haar ein und bezogen auch in unserer Anstalt Quartier. Es würde zu weit führen, über die Räumung vieler Dienstwohngebäude, die Unterbringung der Ausquartierten und über viele andere Einzelheiten zu berichten“, heißt es im Jahresbericht 1944/46 des Bezirkskrankenhauses Haar. Die Schwierigkeiten wuchsen noch, als im Juli auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung in zwei Häusern eine Ausweichabteilung für interne Kranke eingerichtet und mit Häftlingen aus Stadelheim belegt wurde.

Als kommissarischen Leiter des Krankenhauses hatten die Amerikaner den Schwabinger Arzt Gerhard Schmidt eingesetzt. „Die Hungerhäuser wurden aufgelöst. Dort waren Patienten, die nicht mehr arbeiten konnten, untergebracht“, berichtet Günter Goller, der gemeinsam mit Alma Midasch und Ferdinand Ulrich das Psychiatrie Museum am heutigen kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar eingerichtet hat. Auch die Gräuel der sogenannten „Aktion T 4“, die zentral gesteuerte Erfassung und Ermordung erwachsener Psychiatrie-Patienten, fand ein Ende.

Die Aufarbeitung der Euthanasie-Verbrechen erfolgte nur zögerlich. Einen ersten Versuch unternahm der im Juni 1945 kommissarisch eingesetzte Klinikleiter Gerhard Schmidt mit seinem bis heute unverzichtbaren Werk „Selektion in der Heilanstalt“, sowie Jahre später der Klinikpfarrer Klaus Rückert.

Mit Einmarsch der Amerikaner begann auch die Entnazifizierung des Klinikpersonals. Drei Krankenschwestern aus dem Kinderhaus wurden wegen „Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Totschlag“ zu je zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Klinikchef Hermann Pfannmüller wurde wegen Beihilfe zum Totschlag zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Ein leitender Arzt des Kinderhauses erhängte sich 1948 in seiner Zelle in Stadelheim.

1946 wurde Anton Edler von Braunmühl als Leiter der Heil-und Pflegeanstalt Haar eingesetzt.

Was war geschehen?

Bei Ärzten, Pflegern und Verwaltungsangestellten, die überwiegend nach Kriegsende weiterarbeiteten, kostete dem Direktor Schmidt das Vorgehen offenbar jegliche Sympathie. Der "Aufklärer" Schmidt sichtete nach Schilderung seines Sohnes Unterlagen, befragte Patienten, sammelte Material, wobei wohl nicht wenige befürchteten, dies könnte vor Gericht gegen sie verwendet werden. Dass er belastetes Personal entließ und neue Fachkräfte ins Haus holte, wurde am Ende gegen ihn ausgelegt.

Im Spätherbst 1946 erscheinen morgens um 7 Uhr Uniformierte in der Direktorenvilla in Haar-Eglfing. Sie haben ein Entlassungsschreiben samt Räumungsbefehl dabei. Ein Polizist postiert sich an der Tür zum Dienstzimmer von Gerhard Schmidt. Der Zugang zu seinen Unterlagen wird ihm sofort verwehrt.

Die Historikerin Sibylle von Tiedemann hat in Schmidts Personalakten nachvollzogen, wie es zu der Entlassung kam, die in der überfallartigen Polizeiaktion mündete. In ihren Augen war es eine gezielte Mobbingaktion der alten Seilschaften. Schließlich hieß es, Schmidt sei der Aufgabe nicht gewachsen. Das Bayerische Innenministerium setzte ihn ab, kaum dass die US-Armee und die Militärregierung die Kontrolle an sie abgegeben hatte.


In der Presse

Literatur