Emil Julius Gumbel: Unterschied zwischen den Versionen

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== Leben==
== Leben==


Nach dem Abitur 1910 am [[Wilhelmsgymnasium]] München [[Universität|studierte]] Gumbel in München Nationalökonomie und promovierte am 28. Juli 1914 zum Dr. oec.publ. mit der Arbeit Über die Interpolation des Bevölkerungszustandes.ref 2  Wenige Tage später meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, doch die reale Erfahrung des Krieges machte ihn bald zum Pazifisten. Unter einem Vorwand ließ sich Gumbel im Frühjahr 1915 vom Kriegsdienst freistellen. Im Herbst 1915 trat er dem pazifistischen [[Bund Neues Vaterland]] bei, der sich 1922 in Deutsche Liga für Menschenrechte umbenannte. Bis zum Kriegsende arbeitete er bei der Flugzeugmeisterei am Flugplatz [[Johannisthal]], danach, unterstützt durch Georg Graf von Arco vom Bund Neues Vaterland, bei Telefunken. Nebenbei betätigte er sich politisch. Er war 1917 der [[USPD]] beigetreten, mit deren (nach einer ersten Abspaltung des linken Flügels im Jahr 1920) verbliebenen Mehrheit er 1922 in die [[SPD]] wechselte.(2)   
Nach dem Abitur 1910 am [[Wilhelmsgymnasium]] München [[Universität|studierte]] Gumbel in München Nationalökonomie und promovierte am 28. Juli 1914 zum Dr. oec.publ. mit der Arbeit Über die Interpolation des Bevölkerungszustandes.(2) Wenige Tage später meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, doch die reale Erfahrung des Krieges machte ihn bald zum Pazifisten. Unter einem Vorwand ließ sich Gumbel im Frühjahr 1915 vom Kriegsdienst freistellen. Im Herbst 1915 trat er dem pazifistischen [[Bund Neues Vaterland]] bei, der sich 1922 in Deutsche Liga für Menschenrechte umbenannte. Bis zum Kriegsende arbeitete er bei der Flugzeugmeisterei am Flugplatz [[Johannisthal]], danach, unterstützt durch Georg Graf von Arco vom Bund Neues Vaterland, bei Telefunken. Nebenbei betätigte er sich politisch. Er war 1917 der [[USPD]] beigetreten, mit deren (nach einer ersten Abspaltung des linken Flügels im Jahr 1920) verbliebenen Mehrheit er 1922 in die [[SPD]] wechselte.(2)   


Vor allem aber betätigte er sich parteipolitisch relativ unabhängig als Pazifist auch auf internationaler Ebene.
Vor allem aber betätigte er sich parteipolitisch relativ unabhängig als Pazifist auch auf internationaler Ebene.
Zu seinem großen Thema wurden die zahlreichen politischen Morde in den Wirren der Nachkriegszeit. In zwei Publikationen wies er die Einäugigkeit der Justiz in der Weimarer Republik nach, die Mörder aus dem linken Lager mit äußerster Strenge, Mörder aus dem rechten Lager aber mit großer Nachsicht behandelte und viele Morde dabei gänzlich ungesühnt ließ. Als Statistiker ließ er dabei die Zahlen für sich sprechen. Trotzdem erreichten seine Publikationen recht hohe Auflagen und führten sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen Landtag, nachdem die Ergebnisse von Gumbels Buch Vier Jahre politischer Mord in einer vom Reichsjustizminister Gustav Radbruch in Auftrag gegebenen Studie bestätigt wurden. Wohl infolge der Analysen politischer Morde wurde Gumbel auch ein Fachmann für nationalistische Geheimorganisationen, die sich aus den Freikorps entwickelten, und für viele Morde aus dem rechten Spektrum verantwortlich waren. Insbesondere Fememorde waren in diesen Organisationen zeitweise an der Tagesordnung.  
Zu seinem großen Thema wurden die zahlreichen politischen Morde in den Wirren der Nachkriegszeit. In zwei Publikationen wies er die Einäugigkeit der Justiz in der Weimarer Republik nach, die Mörder aus dem linken Lager mit äußerster Strenge, Mörder aus dem rechten Lager aber mit großer Nachsicht behandelte und viele Morde dabei gänzlich ungesühnt ließ. Als Statistiker ließ er dabei die Zahlen für sich sprechen. Trotzdem erreichten seine Publikationen recht hohe Auflagen und führten sogar zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Preußischen Landtag, nachdem die Ergebnisse von Gumbels Buch Vier Jahre politischer Mord in einer vom Reichsjustizminister Gustav Radbruch in Auftrag gegebenen Studie bestätigt wurden. Wohl infolge der Analysen politischer Morde wurde Gumbel auch ein Fachmann für nationalistische Geheimorganisationen, die sich aus den Freikorps entwickelten, und für viele Morde aus dem rechten Spektrum verantwortlich waren. Insbesondere Fememorde waren in diesen Organisationen zeitweise an der Tagesordnung.  


1923 habilitierte er sich für Statistik an der Universität Heidelberg. Seine Antrittsvorlesung am 20.1.1923 stand unter dem Titel „Sinn und Abgrenzung der statistischen Gesetze. In seinen Büchern Verschwörer (1924) und Verräter verfallen der Feme (1929) (der Titel ist ein Zitat aus dem Statut der Organisation Consul) analysierte er deren Strukturen und machte auch auf die Schwarze Reichswehr aufmerksam. Dies brachte ihm Prozesse wegen Landesverrats ein, die wie die meisten derartigen Prozesse im Sande verliefen und wohl vor allem dazu dienten, missliebige Journalisten und Autoren unter Druck zu setzen.
1923 habilitierte er sich für Statistik an der Universität Heidelberg. Seine Antrittsvorlesung am 20.1.1923 stand unter dem Titel „Sinn und Abgrenzung der statistischen Gesetze. In seinen Büchern ''Verschwörer'' (1924) und ''Verräter verfallen der Feme'' (1929; der Titel ist ein Zitat aus dem Statut der rechtsradikalen Organisation Consul) analysierte er deren Strukturen und machte auch auf die sog. Schwarze Reichswehr aufmerksam. Dies brachte ihm Prozesse wegen Landesverrats ein, die wie die meisten derartigen Prozesse in der Zeit im Sande verliefen und wohl vor allem dazu dienten, missliebige Journalisten und Autoren unter Druck zu setzen.


Obwohl als politischer Aktivist in der mehrheitlich konservativ-monarchistischen Professorenschaft bereits heftig umstritten, wurde Gumbel 1923 in Heidelberg habilitiert. Gumbel war zuerst Privatdozent, dann ab 1930 außerordentlicher Professor für mathematische Statistik an der Universität Heidelberg. Nebenbei hielt er vor allem seine pazifistischen Aktivitäten aufrecht. Als er 1924 auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft zum zehnten Jahrestag des Kriegsausbruchs das Schlachtfeld als Feld der Unehre erwähnte, suspendierte ihn die Universität. Die Universität musste im August 1924 die Suspendierung jedoch widerstrebend wieder aufheben, da Gumbel hier und auch später einen gewissen Schutz durch die von der liberalen DDP gestellten badischen Kultusminister genoss. Insbesondere für die mehr und mehr nationalsozialistisch dominierte Studentenschaft war Gumbel ein rotes Tuch. Bei der Anfrage zur anstehenden Professorenernennung gaben 1929 gegen ihre Fakultät Emil Lederer und Karl Jaspers positive Voten ab. Im Anschluss an seine Ernennung zum außerordentlichen Professor 1930 kam es bei den so genannten Gumbelkrawallen im Wintersemester 1930/1931 zu einer Universitätsbesetzung durch nationalsozialistische Studenten und zur polizeilichen Räumung der Universität. Als Gumbel auf einer internen Sitzung der Heidelberger Sozialistischen Studentenschaft in Erinnerung an die Hungertoten des Kohlrübenwinters 1917/18 davon sprach, dass eine Kohlrübe sich besser als Kriegerdenkmal eigne als eine leichtbekleidete Jungfrau, wurde ihm im Sommer 1932 die Lehrberechtigung entzogen. Er befand sich seit Anfang 1932 auf einer Reise in die UdSSR. Am 15. Juni kam es zu Einleitung eines 3. Disziplinarverfahrens durch die Universitätsspitze das mit der Entziehung der Lehrberechtigung am 5. August endete. Im August/September 1932   folgte eine USA-Reise Gumbels und im Wintersemester 1932/1933 Gastvorlesungen am Institut Henri Poincaré in Paris.  
Obwohl als politischer Aktivist in der mehrheitlich konservativ-monarchistischen Professorenschaft bereits heftig umstritten, wurde Gumbel 1923 in Heidelberg habilitiert. Gumbel war zuerst Privatdozent, dann ab 1930 außerordentlicher Professor für mathematische Statistik an der Universität Heidelberg. Nebenbei hielt er vor allem seine pazifistischen Aktivitäten aufrecht. Als er 1924 auf einer Veranstaltung der Deutschen Friedensgesellschaft zum zehnten Jahrestag des Kriegsausbruchs im größten Saal der Stadt das Schlachtfeld als Feld der Unehre erwähnte, suspendierte ihn die Universität. Die Universität musste im August 1924 die Suspendierung jedoch widerstrebend wieder aufheben, da Gumbel hier und auch später einen gewissen Schutz durch die von der liberalen DDP gestellten badischen Kultusminister genoss. Insbesondere für die mehr und mehr nationalsozialistisch dominierte Studentenschaft war Gumbel ein rotes Tuch. Bei der Anfrage zur anstehenden Professorenernennung gaben 1929 gegen ihre Fakultät Emil Lederer und Karl Jaspers positive Voten ab. Im Anschluss an seine Ernennung zum außerordentlichen Professor 1930 kam es bei den so genannten Gumbelkrawallen im Wintersemester 1930/1931 zu einer Universitätsbesetzung durch nationalsozialistische Studenten und zur polizeilichen Räumung der Universität. Als Gumbel auf einer internen Sitzung der Heidelberger Sozialistischen Studentenschaft in Erinnerung an die Hungertoten des Kohlrübenwinters 1917/18 davon sprach, dass eine Kohlrübe sich besser als Kriegerdenkmal eigne als eine leichtbekleidete Jungfrau, wurde ihm im Sommer 1932 die Lehrberechtigung entzogen. Er befand sich seit Anfang 1932 auf einer Reise in die UdSSR. Am 15. Juni kam es zu Einleitung eines 3. Disziplinarverfahrens durch die Universitätsspitze das mit der Entziehung der Lehrberechtigung am 5. August endete. Im August/September 1932   folgte eine USA-Reise Gumbels und im Wintersemester 1932/1933 Gastvorlesungen am Institut Henri Poincaré in Paris.  


Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ging Gumbel ins französische Exil. Während in Heidelberg seine Wohnung geplündert und seine Schriften verbrannt wurden, engagierte er sich publizistisch gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und unterstützte aus Deutschland nachkommende Emigranten. Ihm wurde im August 1933 durch die Aufführung in der "Ersten Ausbürgerungsliste" des NS-Deutschen Reichs die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. 1934 - 1940 konnte er an der Universität Lyon arbeiten. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich musste Gumbel 1940 weiter in die USA emigrieren. In den 1950er und 60er Jahren kehrte er zu einigen Gastaufenthalten nach Deutschland zurück.(5)
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ging Gumbel ins französische Exil. Während in Heidelberg seine Wohnung geplündert und seine Schriften verbrannt wurden, engagierte er sich publizistisch gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und unterstützte aus Deutschland nachkommende Emigranten. Ihm wurde im August 1933 durch die Aufführung in der "Ersten Ausbürgerungsliste" des NS-Deutschen Reichs die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. 1934 - 1940 konnte er an der Universität Lyon arbeiten. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich musste Gumbel 1940 weiter in die USA emigrieren. In den 1950er und 60er Jahren kehrte er zu einigen Gastaufenthalten nach Deutschland zurück.(5)
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